London Chess Classic, Runde 2: Vier Auszeiten und ein Benoni

Erstellt am: 05.12.2015

Der 2. Tag der London Chess Classic zeigte zunächst wenig Dramatik - 4 von 5 Begegnungen endeten ohne großartige Komplikationen oder spannende Momente unentschieden. Die fünfte dagegen entschädigte die Zuschauer mit dramatischen Momenten, nur leider war das Endergebnis dasselbe.

Aronian - Anand begann mit einem verhaltenen Nimzo-Inder, in dem der Armenier zu dem "Anfängerzug" 5.Ld2 griff, sich dabei aber vermutlich etwas mehr dabei dachte als Ihr Berichterstatter, der vor ca. 35 Jahren auch so spielte. Weiß hatte zunächst etwas Druck am Damenflügel, aber Anand neutralisierte diesen ganz locker durch den Tausch der weißfeldrigen Läufer und der Damen, wonach die Partie kurz darauf in einer Zugwiederholung endete.

Nach 20...Lf5 21.Lxf5 Sxf5 22.Dxe7 Txe7 war die Stellung komplett ausgeglichen


Giri - Adams verlief vielleicht sogar noch einen Tick undramatischer. Ebenfalls als Nimzo-Indisch gestartet, tauschten sich früh zwei Leichtfigurenpaare und just als man dachte, Giri könnte vielleicht am Damenflügel mit einem auf b6 eingedrungenen Springer für etwas Unruhe sorgen, stellte Adams mit ein paar präzisen Verteidigungszügen das Gleichgewicht her und erzwang auch hier eine Zugwiederholung:

Es sieht zunächst so aus, als stünde Weiß etwas angenehmer: Der Springer geht nach b6 und dann expandieren die Damenflügelbauern,aber nach dem feinen 18...Tab8 19.Sb6 Tfd8 20.Tac1 Le8 21.Le4 Sa7! 22.a4 Dd6 wird klar, dass Weiß nichts erreicht hat


Carlsen - Caruana bezeichnete jemand auf Twitter als "El Clasico" des Schachs, aber dem wurde die Partie leider nicht gerecht. Carlsen wählte eine sehr zurückhaltende Variante gegen Caruanas Berliner Verteidigung und hatte nach 20 Zügen allenfalls symbolischen Vorteil in einer symetrischen Position. Dass er es dennoch schaffte, der Stellung Leben einzuhauchen, zeigt seine große Klasse - plötzlich verfügte er über einen starken d-Freibauern, der durchzumarschieren drohte. Caruana verbrauchte eine Menge Zeit, fand aber schließlich die ideale Aufstellung mit einem Blockadeturm auf d7 und einer sehr aktiven Dame auf e5, was den Bauern stoppte und ihm Zeit gab, seine Bauernmehrheit am Damenflügel zu mobilisieren.

Carlsen versuchte zwar noch einmal alles, indem er zu dem riskanten 34.f4 griff, doch das räumte dem Nachziehenden im Gegenzug viele Möglichkeiten durch Angriffe auf den entblößten weißen König ein. Mit einer kleinen Kombination, bei der er seinen Turm für den weißen Freibauern opferte, erzwang Caruana schließlich folgerichtig das Dauerschach.

Es folgte 37...Txd6! 38.Db8+ Kg7 39.Dxd6 De3+ 40.Kg2 De2+ und die Spieler reichten sich kurz darauf die Hände. Weiß kann dem Dauerschach nicht entkommen.


Nach der Partie gab Carlsen einen lustigen Rat für Nachwuchsspieler zum Besten: "Lasst mehr Figuren auf dem Brett als ich das heute getan habe."

Topalov - Grischuk sah zunächst sehr vielversprechend für den Bulgaren aus. In einer Berliner Verteidigung erreichte er eine gute Ausgangsstellung für einen Königsangriff und Nigel Short flüsterte ihm auf Twitter schon den richtigen Angriffsplan ein: "Einen Springer nach f5 überführen und dann f4 mit Attacke!". Aber dazu sollte es nicht kommen:

Grischuk fand hier das ausgezeichnete 15...a5! mit der Idee, auf 16.d4 mit exd4! 17.cxd4 Db4! die Damen zu tauschen und dem weißen Angriff damit die Power zu entziehen


Topalov versuchte es noch mit der Bildung eines a-Freibauern, aber Grischuks aktive Figuren ließen dessen Mobilisierung zu keiner Zeit zu und am Ende tauschte sich alles zum Remisschluss ab.

Bei Nakamura - Vachier-Lagrave dagegen kamen die Zuschauer voll auf ihre Kosten, denn diese Partie hatte alles zu bieten, was dramatisches Schach ausmacht. Vachier-Lagrave hatte zu Benoni gegriffen, was auf Turnieren dieses Levels eine echte Seltenheit ist. Dennoch (oder gerade deshalb) kam der Franzose ausgezeichnet aus der Eröffnung und als Nakamura im 18. Zug den thematischen Zentrumsdurchbruch 18.e5 spielte, war das eher aus der Not geboren, denn Vachier-Lagraves Figuren waren zu aktiv geworden. Die Idee des Amerikaners war

Die Idee des Amerikaners war, nach 18.e5 dxe5 19.fxe5 Txe5 20.Sc4 nebst Lf4 und Sb6 den Schwarzen einzuschnüren, doch MVL spielte 20....Tf5 (verhindert Lf4) 21.Se2 Txf3!! 22.gxf3 (22.Txf3 Lg4 nebst Sd4) Lh3 und die schwarzen Figuren dominierten das Brett


Vachier-Lagrave eroberte anschließend den Bauern d5, musste dafür aber die Damen tauschen, so dass Weiß im Spiel blieb. Doch im 32. Zug schließlich war es soweit: Nakamura beging mit 32.h3? einen Fehler, wonach der Franzose klaren Vorteil hätte erzielen können:

32...gxf3!! sieht zunächst wie ein Einsteller aus, doch nach 33.Lh6 Se4+ 34.Ke3 findet der Computer das coole 34...Kh7!! 35.Lxg7 f2 36.Tg2 Sd4!! mit der Doppeldrohung Sf5+ bzw.Sc2+, die Weiß nicht beide abwehren kann


MVL entschied sich stattdessen für 32...Lxc4?, wonach Nakamura die Stellung ausgleichen konnte. Am Ende endstand ein Endspiel mit zwei Türmen und Bauer gegen Turm, Springer und drei Bauern, das jedoch keiner Seite Gewinnchancen versprach. So bleibt der Status Quo erst einmal erhalten: Es führt weiterhin Anish Giri mit 1,5 aus 2, Topalov bleibt mit 0,5 Punkten am Tabellenende und dazwischen liegen 8 Spieler mit jeweils 2 Remisen auf dem Konto.

Morgen geht es mit diesen Paarungen weiter:

Grischuk - Giri
Vachier-Lagrave - Topalov
Caruana - Nakamura
Anand - Carlsen
Adams - Aronian

PGN Download: 
Partie(n) zum Nachspielen: 
[Event "London Chess Classic"]
[Site "chess24.com"]
[Date "2015.12.05"]
[Round "2.1"]
[White "Aronian, Levon"]
[Black "Anand, Viswanathan"]
[Result "1/2-1/2"]
[WhiteElo "2788"]
[BlackElo "2796"]
[PlyCount "67"]
[EventDate "2015.??.??"]
[WhiteTeam "Armenien"]
[BlackTeam "Indien"]
[WhiteTeamCountry "ARM"]
[BlackTeamCountry "IND"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 d5 4. Nc3 Bb4 5. Bd2 O-O 6. e3 c5 7. a3 Bxc3 8. Bxc3
Ne4 9. Qc2 Nxc3 10. bxc3 Nd7 11. Bd3 h6 12. cxd5 exd5 13. Qb2 Qe7 14. O-O Nf6
15. Rfb1 c4 16. Bc2 Ne4 17. a4 Re8 18. a5 Nd6 19. Qb4 Be6 20. Re1 Bf5 21. Bxf5
Nxf5 22. Qxe7 Rxe7 23. h4 h5 24. g3 Nd6 25. Reb1 Rc8 26. Kg2 f6 27. Ng1 g5 28.
Nf3 Ne4 29. Ra3 Rf8 30. Rb5 Rd7 31. Rb2 Rg7 32. Rb5 Rd7 33. Rb2 Rg7 34. Rb5
1/2-1/2

[Event "London Chess Classic"]
[Site "chess24.com"]
[Date "2015.12.05"]
[Round "2.2"]
[White "Giri, Anish"]
[Black "Adams, Michael"]
[Result "1/2-1/2"]
[WhiteElo "2784"]
[BlackElo "2737"]
[PlyCount "52"]
[EventDate "2015.??.??"]
[WhiteTeam "Niederlande"]
[BlackTeam "England"]
[WhiteTeamCountry "NED"]
[BlackTeamCountry "ENG"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 Bb4 4. Qc2 d5 5. a3 Bxc3+ 6. Qxc3 Ne4 7. Qc2 c5 8.
dxc5 Nc6 9. Nf3 Qa5+ 10. Bd2 Qxc5 11. e3 Nxd2 12. Nxd2 dxc4 13. Bxc4 O-O 14. b4
Qe7 15. Bd3 h6 16. Qc3 a6 17. O-O Bd7 18. Nc4 Rab8 19. Nb6 Rfd8 20. Rac1 Be8
21. Be4 Na7 22. a4 Qd6 23. Nc4 Qe7 24. Nb6 Qd6 25. Nc4 Qe7 26. Nb6 Qd6 1/2-1/2

[Event "London Chess Classic"]
[Site "chess24.com"]
[Date "2015.12.05"]
[Round "2.3"]
[White "Nakamura, Hikaru"]
[Black "Vachier-Lagrave, Maxime"]
[Result "1/2-1/2"]
[WhiteElo "2793"]
[BlackElo "2773"]
[PlyCount "112"]
[EventDate "2015.??.??"]
[WhiteTeam "Vereinigte Staaten"]
[BlackTeam "Frankreich"]
[WhiteTeamCountry "USA"]
[BlackTeamCountry "FRA"]

1. d4 Nf6 2. Nf3 g6 3. e3 Bg7 4. c4 O-O 5. Be2 c5 6. d5 d6 7. Nc3 e6 8. O-O
exd5 9. cxd5 Na6 10. Nd2 Rb8 11. e4 Re8 12. f3 Nh5 13. f4 Nf6 14. Kh1 Nc7 15.
a4 a6 16. a5 Bd7 17. Bf3 Nb5 18. e5 dxe5 19. fxe5 Rxe5 20. Nc4 Rf5 21. Ne2 Rxf3
22. gxf3 Bh3 23. Re1 Qxd5 24. Nf4 Qxd1 25. Rxd1 Bd7 26. Be3 Bc6 27. Kg2 Re8 28.
Kf2 g5 29. Nd3 g4 30. Nde5 Bd5 31. Rg1 h5 32. h3 Bxc4 33. Nxc4 Nd5 34. fxg4
Nxe3 35. Nxe3 Bxb2 36. Rae1 Bc3 37. Re2 Bd4 38. Kf3 Nc3 39. Ree1 Ne4 40. gxh5+
Kh7 41. Rg2 Nd6 42. Ree2 Re5 43. Nc2 Rxh5 44. Nxd4 cxd4 45. Rg4 Rxa5 46. Rxd4
Nf5 47. Rb4 b5 48. Kf4 Nh6 49. Ke5 Ra3 50. h4 Rg3 51. Ra2 Rg6 52. Rb1 Re6+ 53.
Kf4 Rf6+ 54. Ke4 Re6+ 55. Kf4 Rf6+ 56. Ke4 Re6+ 1/2-1/2

[Event "London Chess Classic"]
[Site "chess24.com"]
[Date "2015.12.05"]
[Round "2.4"]
[White "Carlsen, Magnus"]
[Black "Caruana, Fabiano"]
[Result "1/2-1/2"]
[WhiteElo "2834"]
[BlackElo "2787"]
[PlyCount "84"]
[EventDate "2015.??.??"]
[WhiteTeam "Norwegen"]
[BlackTeam "Vereinigte Staaten"]
[WhiteTeamCountry "NOR"]
[BlackTeamCountry "USA"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 Nf6 4. O-O Nxe4 5. Re1 Nd6 6. Nxe5 Be7 7. Bf1 Nxe5
8. Rxe5 O-O 9. Nc3 Ne8 10. Nd5 Bd6 11. Re1 c6 12. Ne3 Be7 13. c4 Nc7 14. d4 d5
15. cxd5 Nxd5 16. Nxd5 cxd5 17. Bf4 Bf6 18. Be5 Bxe5 19. Rxe5 Re8 20. Rxe8+
Qxe8 21. Qb3 Qc6 22. Bb5 Qb6 23. Qxd5 a6 24. Bd3 Be6 25. Qe4 g6 26. d5 Bf5 27.
Qe2 Bxd3 28. Qxd3 Qxb2 29. Re1 Rd8 30. d6 Rd7 31. g3 Qf6 32. Rd1 Qe5 33. Qa3 a5
34. f4 Qe2 35. Qc1 Qe6 36. Qc5 b5 37. Qxb5 Rxd6 38. Qb8+ Kg7 39. Qxd6 Qe3+ 40.
Kg2 Qe2+ 41. Kg1 Qe3+ 42. Kg2 Qe2+ 1/2-1/2

[Event "London Chess Classic"]
[Site "chess24.com"]
[Date "2015.12.05"]
[Round "2.5"]
[White "Topalov, Veselin"]
[Black "Grischuk, Alexander"]
[Result "1/2-1/2"]
[WhiteElo "2803"]
[BlackElo "2747"]
[PlyCount "65"]
[EventDate "2015.??.??"]
[WhiteTeam "Bulgarien"]
[BlackTeam "Russland"]
[WhiteTeamCountry "BUL"]
[BlackTeamCountry "RUS"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 Nf6 4. d3 Bc5 5. c3 O-O 6. Nbd2 d6 7. h3 a6 8. Bxc6
bxc6 9. O-O Re8 10. Re1 h6 11. Nf1 Bb6 12. Ng3 Bd7 13. Be3 Qb8 14. Qd2 Bxe3 15.
Rxe3 a5 16. d4 exd4 17. cxd4 Qb4 18. b3 Qxd2 19. Nxd2 a4 20. a3 axb3 21. Rxb3
Ra4 22. Rb7 Rxd4 23. Nf3 Ra4 24. Rxc7 Rc8 25. Rxc8+ Bxc8 26. e5 dxe5 27. Nxe5
c5 28. Rc1 Rxa3 29. Rxc5 Be6 30. Rc1 Ra8 31. Nf3 Rc8 32. Rxc8+ Bxc8 33. Nd4
1/2-1/2
Quellenhinweis: 


Über den Autor

Bild des Benutzers Marc Lang
Marc Lang

Marc Lang ist bekannt für seine Blindschachveranstaltungen und hielt bis Dezember 2016 den Weltrekord im Blindsimultan gegen 46 Gegner, aufgestellt 2011 in Sontheim/Brenz, wo er heute lebt.