Von Frank Zeller
Drei Mannschaftspunkte holte Hall aus den beiden Heimspielen, eine ordentliche Ausbeute, mit der man zufrieden sein konnte, zieht man in Betracht, dass man mit Trier einen gleichstarken Gegner besaß und Team Hall eine relativ moderate Aufstellung aufwies. So fehlten unsere ganz großen Stars an den vorderen Brettern, während am achten Brett Senior Pavel Zpevak seinen ersten Einsatz in der deutschen Bundesliga feiern durfte.
Acht Remisen gegen Trier!
Gespannt war man darauf, wie sich wohl der Neue präsentieren würde: der junge russischen Großmeister Maxim Matlakov spielte seine erste BL-Partie für Hall. Und er durfte sogleich am Spitzenbrett ran! Mit den schwarzen Steinen bekam er es mit dem bekannt soliden Ungarn Erdös zu tun.
Viktor Erdös – Maxim Matlakov
Die Partie entwickelte sich recht spannend, weil es einige Ungleichgewichte gab: beide Seiten haben etliche Schwächen. Maxim spielte …f5 und hernach den Läufer zurück nach h7. Ein Großbauer! Auf der Gegenseite laboriert Weiß an einem rückständigen Be3, den er zwar mit seinem Springer zuverlässig deckt, aber wie traurig steht der Schimmel auf f1! Zu gern möchte er sich nach e5 bewegen. Seinen Tausch auf c6 verband der Trierer mit einem Remisangebot. Schwarz wird wohl mit dem Bauern zurückschlagen, …bxc6, wonach auch er den typischen Rückständigen bei einem Minoritätsangriff erhält. Die Stellung ist höchst schwer zu beurteilen. Die Zuschauer erhofften sich gerade hier, eine spannende Partie geboten zu bekommen. Doch auch Matlakov schien das Risiko zu hoch, und er nahm das Angebot des Gegners an. Remis nach 22 Zügen, schade fürs Publikum…
Bei anderen Partien war die Punkteteilung nachvollziehbar, weil da bereits vieles abgetauscht wurde und es schlichtweg am Potential mangelte. Manches taktische Remisangebot kam gut getimed: Viktors Remisofferte wurde angenommen, dabei stand sein Gegner etwas besser und hätte durchaus weiterspielen können.
Kritisch war auch die Partie von Pavel Zpevag, vor allem wegen dessen extremen Zeitverbrauchs!
Pavel spielte seine erste Partie in der 1. Bundesliga und war von daher etwas nervös. Nachdem sein Gegner ihn gleich aus der Eröffnung heraus ansprang, wollte Pavel es ganz genau wissen, tauchte ab, und hatte nach 11 Zügen bereits über eine Stunde Zeit verbraucht. Auch mochte seine Stellung nicht gänzlich gefallen, doch er fand einen sauberen Weg, um Ungleichfarbige herbeizuführen.
P. Zpevak – M. Galyas
25.Lxd4 Dxd4 26.Dxd4 Lxd4 und remis.
Auch hier ein Resultat, mit dem Hall sehr zufrieden sein durfte.
In zwei verbliebenen Partien wähnten sich eher die Gastgeber im Vorteil, weshalb die Aussichten auf einen Mannschaftssieg immer noch realistisch waren.
Mathias Womacka schnappte sich in der Eröffnung einen Bauern, musste dann aber hart in die Defensive gehen. Doch die Kompensation des Trierers verschwand zusehends, so dass wir Zuschauer Mathias gute Gewinnchancen gaben. Und dann war da noch die spannendste Partie des Tages: unser „Topscorer“ Matthieu hatte es mit DER neuen ungarischen Hoffnung zu tun. Der erst 17jährige Gledura machte mit einem Sieg über Anand, Gibraltar 2016, auf sich aufmerksam und gehört mittlerweile zu den weltbesten Junioren.
Matthieu Cornette - Benjamin Gledura
Das ruhige Gioco Pianissimo wurde plötzlich verdammt unübersichtlich. Hat der Sg4 sich verlaufen?
13.Lxe7 Matthieu wählt eine Fortsetzung, die zwar einen Bauern gewinnt, aber ungleichfarbige Läufer ergibt und Schwarz die Initiative überlässt. Im Vorraum wurde eine Fortsetzung wie 13.Ld2 Sg6!? 14.Sf5 oder 13.hxg4 hxg5 14.Sf5 bevorzugt, in der Weiß zumindest optisch aktiver steht. Die Rechner beurteilen indes alles gleichweg ausgeglichen.
13...Dxe7 14.Sf5 Lxf5 15.exf5 Sf6 16.Dxb7 Dd7! Sichert c6 und droht …d5 nebst …Tfb8.
17.Lxa6!? Tfb8 18.Df3 Lxf2+ 19.Dxf2 Txa6 20.b3!? Nur so kann Weiß versuchen, noch auf Vorteil zu spielen. Sb5 bringt wegen …c6 nichts.
20. ...Txb3!? Danach verläuft sich der Turm und Schwarz wird die Qualität geben müssen. 20. ...Sd5! sieht einfacher aus.
21.Sb5 Dc6 22.Kh2 Txa4 23.Txa4 Dxb5 24.Ta8+ Kh7
25.Td8?! Bei beiden Spielern wurde die Zeit knapp. Die Türme kommen im Moment noch nicht zur Geltung, der Sf6 verleiht der schwarzen Königsstellung Sicherheit. Könnte Weiß auf der Grundlinie verdoppeln, wäre das Spiel aus. Was der Turm indes auf d8 will… nun ja, Matthieu möchte lieber 25.Tf8 spielen, aber nach …Tb2 26.Dg3 Dd7 ist alles gedeckt. Er sollte 25.c4! spielen, denn bei …Db7 ist 26.Tf8 stark, während auf 25. ...Dd7 26.Da2!!, Idee ….Txd3 27.Db1! nebst 28.Db8 geht.
25. ...Tb2 25...Dxd3 26.Tf8 Txc3 27.Txf7 Tc2 mit gemischtem Spiel kam auch in Frage. 26.Df3 Ta2 27.Tf8!? e4! Das Gegenspiel zur rechten Zeit: jetzt war klar, es spitzt sich extrem zu! 28.dxe4
28. …Sh5? Die spannendsten Augenblicke des ganzen Matches! Mit 28. ...Sd7! 29.Txf7 Se5 hätte Gledura unserem Mann Ärger bereiten können. Weiß ist zum Opfer gezwungen: 30.Txg7+ Kxg7 31.f6+ Kf8 und nun fragt sich, ob Weiß ausreichend Spiel für die Figur hat, etwa nach 32.Df4 Sf7 33.Dg4 Sg5 34.Dc8+ De8 35.Dxc7 Sf7. Das ist unklar, aber höchstens für Schwarz besser.
29.Dxh5? Und in der angespannten Situation gelingt es Matthieu nicht, klaren Kopf zu bewahren. Eine kluge Wahl scheint 29.f6! zu sein, nach …De5+ 30.Kg1 Dc5+ 31.Kh1 Sxf6 32.Txf7 hat Schwarz nichts für die Qualität. Auch 29.Txf7 ging gut an, man musste allerdings sehen, dass nach …De5+ 30.Kg1 Dc5+ Weiß mit 31.Kh1 die Zugwiederholung meidet und hernach 31. …Dc4, was den Tf7 bedroht sowie ….Sg3+, durch 32.Txc7!! kontern kann mit Abwicklung in ein gewinnträchtiges Endspiel. Nicht einfach bei nur noch drei Restminuten!
29. ...Dxf1 30.Dg4 Ta1! 31.Txf7 Dg1+ 32.Kg3
29. …De1+ Das hatte Matthieu im 29. Zug übersehen, er glaubte, nach 32. ...De3+ 33.Kh4 dem Dauerschach zu entfliehen. ½–½
Noch vor der Zeitkontrolle waren bereits 7 Remisen unterschrieben! Das Bundesligaregelwerk verbietet zwar Remisen vor dem 20. Zug, aber hier wurden alle freundlichen Einvernehmen zwischen dem 20. und 30. Zug abgeschlossen. Wäre es nicht sinnvoll, die Latte höher zu legen, vor allem in Hinblick auf die Zuschauer und der Idee, die BL irgendwie doch attraktiver zu gestalten?!?!?
Zum Glück hatte Mathias in der letzten laufenden Partie des Matches einen Mehrbauern im Turmendspiel. Doch besaß er damit auch reelle Gewinnchancen?
L. Gonda – Mathias Womacka
(nach 42.Tb4-b3):
42. …Te7 verblüffte die Fans. Ist das ein Gewinnversuch? Weil der Trierer in den nächsten Zügen extrem viel Zeit verbrauchte und sichtlich zu schwitzen begann glaubten wir Zuschauer rein optisch, dass Mathias dem Sieg nahe wäre, doch nach 43.Kxd5 Te2 44.Kc5 Tf2 45.Kb6 Tf3
46.Tc3! Txc3 …bot Mathias plötzlich Remis an ½–½.
Für uns Laien war dies nicht ganz verständlich, doch das Wettrennen der Bauern führt zu einem völlig ausgeglichenen Damenendspiel. Mathias klärte uns hinterher auf, dass er nie besser stand und den Mehrbauern aufgab, um nicht sogar noch in Zugzwang und Verlustrisiko zu kommen. Und er hat wohl das Endspiel sehr treffend beurteilt!
Naja, dann eben 8 Remisen. Remis ist ein normales, logisches Ergebnis im Schach. Und wenn nach 5 oder 6 Stunden Kampf es sich eben so ergibt, dann ist es okay. Aber so…
Sonntag: Erster Saisonsieg!
Gegen Aufsteiger Aachen musste ein Sieg her. Schon in den Eröffnungsphasen war zu spüren, dass die Haller Jungs heute bereit waren, mehr Risiko zu gehen. Besonders Viktor Laznicka und Matthieu C. mit Schwarz sowie Peter Michalik mit Weiß gingen unorthodoxe Wege, so dass die Partien Spannung versprachen. Im Fokus stand indes zunächst die Partie von Mathias, dessen Gegner die Eröffnung wie aus der Pistole geschossen hervorzauberte:
M. Womacka – C. Braun
nach 17. …e5?:
Diese Position hat uns bei der Livekommentierung sehr interessiert, eine Engine, wohlgemerkt, stand uns dabei nicht zur Verfügung. Schon einen Zug zuvor fragten sich die Zuschauer und ich als Kommentator, wie stark der Problemzug 17.Ld4 wohl sei. Schwarz muss 17. …exf4 18.Lxf6 Dxe1+ 19.Txe1+ Kd7 spielen. Wenn Weiß nun auf h8 schlägt, kann Schwarz vermutlich das Endspiel einigermaßen ausgleichen. Uns entging, dass Weiß durch 20.Te7+! einen gewinnbringenden Mattangriff starten kann nach 20. …Kc6 21.Le5! Verblüffend war, dass der Schwarze bislang immer noch in seiner Vorbereitung zu sein schien und einen riesigen Zeitvorsprung verbuchen konnte. Auch der Mannschaftsführer der Aachener nährte diese Ansicht: „Unser Christian bereitet immer sehr genau und gewissenhaft seine Eröffnungen vor.“
Mathias überlegte lange, spielte dann 17.Db4, ein paar Züge später (nachdem die 20-Züge-Marke endlich überschritten war!) einigten sich die Kontrahenten auf Remis. Am Vortag spielte unser Mann die längste Partie, vielleicht wollte er sich diesmal auch das Recht vorbehalten, als erster Remis spielen zu dürfen! Hinterher wurde festgestellt, dass 17.Ld4! glatt gewonnen hätte. Auf die Frage an die beiden Spieler, was sie bei 17.Ld4 so gesehen hätten, antworteten sie seltsamerweise unisono: „Ld4? An so was habe ich gar nicht gedacht!“
Duell der Generationen
Die Aachener hatten extra ein Jungtalent aus Rom eingeflogen: der 14-jährige Edoardo zeigte in Hall, dass er auch ein reifes Talent ist: er spielte technisch sehr versiert, hatte am Vortag bereits gegen Dresden fast gewonnen, sich aber letztlich mit Remis begnügt. Nun hatte er den Anzug gegen unseren Senior Pavel. Edoardo begann verhalten und umsichtig, und doch gelang es ihm, dauerhaften Druck aufzurichten. Es wurde viel abgetauscht, doch die einzige offene Linie blieb in seinem Besitz, Pavel konnte nur abwarten und ums Remis kämpfen. Was uns Zuschauer vor allem beunruhigte, war der gewohnt exorbitante Zeitverbrauch unseres tschechischen Routiniers. Doch wie am Vortag blieb Pavel ruhig, behielt die Übersicht und steuerte den Remishafen an. Eine kritische Partie gehalten – wichtig für Hall!
Ebenfalls kritisch wirkte die Stellung von Matthieu, der originell eröffnete und frühzeitig ein Ungleichgewicht erzeugte:
M. Hoffmann – Mathieu Cornette
(nach 22.Lc3-b2):
Die Drohung Dc3 ist unangenehm. Wenn Schwarz …b4 spielt, was wohl unabdingbar ist, ist seine Majorität entwertet. Doch Hoffmanns Bedenkzeit war schon ziemlich geschmolzen, weshalb der deutsche Großmeister Remis offerierte. Mathieu, der nicht mehr ganz zufrieden war, nahm diese Chance wahr und ergriff die ausgestreckte Hand.
Dann war es endlich so weit: Hall landete einen Sieg! Und den steuerte Peter Michalik mit unorthodoxem, pointiertem Spiel bei.
Peter Michalik – I. Zaragatski
(Nach 18.Sc1-d3):
Gegen Sizilianisch wählte Peter nicht einen üblichen Angriffsplan, sondern suchte sogleich den Damentausch und attackierte den schwarzen Damenflügel. Hier hat er den Ba6 fixiert und greift b4 an. Es war klar, dass Schwarz Gegenspiel im Zentrum suchen musste, zumal Weiß schlecht entwickelt war.
18. …d5 19.exd5 e4! 20.Sc5 Lxd5 21.Sxa6 Dieser Springer unternimmt eine lange Reise, er stand schon auf a2 und c1! Schlechter war 21.Lxa6 0-0! und die weißen Figuren hängen.
21. …Tc8 22.fxe4 Lxe4 23.Lb5+ Lc6 24.Ld3! Der weiße a-Bauer trägt den „Marshallstab im Tornister“, wie es früher immer so schön hieß. Das einzige Problem ist, dass der Sa6 im Weg steht. Gelingt es dem Weißen, diesen gesund zurück zu bringen, sollte er auf Gewinn stehen. Bei 24.Lxc6 Txc6 fehlt dem Springer der „Rettungsanker“, der weißfeldrige Läufer.
24. …Se4? Der falsche Plan auf der Suche nach Aktivität. 24. …0-0 oder …Lxg2 und alles ist noch drin.
25.Lb6! Lh4+ Konsequent, aber auf der falschen Spur. 26.g3! Lf6 nun erkannte Schwarz, dass 26. …Sxg3 27.hxg3 Lxg3+ 28.Ke2 Lxh1 29.Txh1 trotz materiellem Gleichgewicht ziemlich schlecht für ihn ist.
27.Sxb4 Sxg3 Ein letzter verzweifelter Versuch. 28.Sxc6 Sxh1 29.La6! Auch 0-0-0 gewann klar, aber der Partiezug ist irgendwie hübscher.
29. …Lxb2 30.Td1 Ta8 31.Lb7 0–0 32.Lxa8 Txa8 33.Td8+ Txd8 34.Sxd8
„Andi-the-a-pawn“ macht das Rennen. 1–0
Dieses Tempospiel entschädigte für viele langweilige Partien an diesem Wochenende.
Auch der zweite Prager im Team, Viktor, überzeugte mit seinem Vortrag. Mit Schwarz versuchte er bereits ausgangs der Eröffnung, die Initiative mit g5 und h5 an sich zu reißen, war gar bereit zu einem Bauernopfer. Sein Gegner versuchte das Risiko herunterzuschrauben, suchte den Abtausch. Doch sein Bemühen, auch noch die Damen zu tauschen, war positionswidrig. Dadurch kamen erst die ganzen schwarzen Vorzüge wie Läuferpaar, Zentrum, h-Linie, zum Vorschein:
M. Dambacher – V. Laznicka
(nach 27.Tc3):
27. …Sb6! 28.La5 Sa8! leitete eine bemerkenswerte Umgruppierung dieses Springers ein. Was will der auf a8, werden Sie sich fragen. Doch schauen wir ein paar Züge später wieder `rein:
(nach 33.Kg2):
33. …Sf3! „Siehste wohl, da kimmt er, lange Schritte nimmt er!“ Nebenbei wird dem Läufer das Feld e4 freigeräumt. Weiß wurde binnen weniger Züge völlig überspielt. Der Rest bereitete Viktor keine Schwierigkeiten mehr. ( 0:1, 45)