"Mit einem ELO-Plus von 35 Punkten würde man sonst jedes Turnier gewinnen" - Interview mit Pavel Eljanov

Erstellt am: 24.10.2015

Beim kürzlich zu Ende gegangenen FIDE-Weltcup in Baku spielte der für Dresden startende, ukrainische Super-Großmeister Pavel Eljanov zunächst fantastisch. Er startete mit 6 Siegen en suite und fegte auf dem Weg ins Halbfinale u.a. Grischuk, Nakamura und Jakovenko in hochklassigen Partien vom Brett, ehe er im Halbfinale unglücklich gegen den späteren Sieger Sergej Karjakin ausschied: Mit einem Punkt Rückstand in der letzten Stichkampfpartie auf Gewinn stehend, ließ er aus Versehen eine dreimalige Stellungswiederholung zu. In unserem Interview spricht Eljanov nun über sein unglückliches Ausscheiden, das Weltcup-Format und über die Schachbundesliga.

Schachbundesliga: Mr Eljanov, wie fühlen Sie sich, nachdem Sie beim FIDE-Weltcup nur einen Schritt vor der Qualifikation für die Weltmeisterschaft gegen Karjakin ausgeschieden sind?

Pavel Eljanov: Ich denke, dass ich das beste Turnier meines Lebens gespielt habe. Es ist allerdings ein bisschen schade, dass ein ELO-Plus von 35,6 nicht ausgereicht hat, das Turnier zu gewinnen - normalerweise wäre ein solcher Zugewinn mehr als genug, um jedes beliebige Superturnier mit großem Vorsprung für sich zu entscheiden. Aber OK, das ist das Format: In einem KO-System kann ein einziger schlechter Tag das Ende bedeuten, egal, wie gut man davor gespielt hat.

Schachbundesliga: Was genau ist in der letzten Partie passiert, als Sie in besserer Stellung eine dreimalige Stellungswiederholung zuließen? War das ein großer Schock für sie, als Sie Ihren Fehler bemerkten?

Pavel Eljanov: Es war nicht direkt ein Schock, sondern eher ein Aussetzer in der Konzentration. Ich dachte nur, ich mache ein einfaches Dreiecksmanöver mit meinem König, so dass es zu keiner dreimaligen Stellungswiederholung kommt...

Schachbundesliga: In der 2. Schnellpartie gegen Karjakin genügte Ihnen ein Unentschieden, um das Finale zu erreichen. Mit welcher Strategie geht ein Weltklasse-GM wie Sie in eine solche Partie? Versuchen Sie, besonders solide zu spielen und unnötige Risiken zu vermeiden?

Pavel Eljanov: Ich versuchte einfach, wie immer zu spielen. Im Ergebnis hatte ich eine solide Stellung nach der Eröffnung und war sehr zufrieden damit. Nur leider begann ich unmittelbar danach, die Fehler zu machen.

Schachbundesliga: Sind Sie vor dem Beginn einer so wichtigen Partie wie einem Weltcup-Halbfinale nervös?

Pavel Eljanov: Aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen war ich in der ersten Phase des Turnieres sehr nervös. Erst, nachdem ich in der 4. Runde gegen Jakovenko gewann, änderte sich das schlagartig und ich wurde stattdessen vollkommen ruhig.

Schachbundesliga: Sie haben es geschafft, die ersten 6 Partien im Weltcup für sich zu entscheiden, was auf diesem hohen Niveau sehr ungewöhnlich ist. Haben Sie eine Erklärung für diesen Lauf?

Pavel Eljanov: Glück :-). Ich hatte in mindestens 4 der genannten 6 Partien Fortuna auf meiner Seite, als ich zwischenzeitlich schlechter oder sogar auf Verlust stand.

Schachbundesliga: Wie war Ihr Gesamteindruck vom Weltcup?

Pavel Eljanov: Das Niveau der Organisation war fantastisch! Ich freue mich schon sehr darauf, an gleicher Stelle 2016 bei der Olympiade mitzuspielen. Am Ende war es allerdings hart, zuzuschauen, da Svidler und Karjakin im Finale so viele Fehler unterliefen. Aber natürlich hat Karjakin verdientermaßen gewonnen, was m.E. seinem außergewöhnlichen Kampfgeist zuzuschreiben ist.

Schachbundesliga: Magnus Carlsen hat kürzlich erklärt, dass er einen WM-Zyklus bevorzugen würde, in dem der Weltmeister keinerlei Privilegien genießt. Wie denken Sie darüber?

Pavel Eljanov: Ich denke, dass dieser Vorschlag eine der guten Seiten von Magnus zeigt: Es ist aller Ehren wert, dass er bereit ist, auf seine Privilegien als Weltmeister freiwillig zu verzichten.  Aber auf der anderen Seite hat das Finale von Baku gezeigt, dass in einem Knockout-Turnier am Ende nicht nur die schachlichen, sondern auch die Qualitäten als Kämpfer entscheidend sind. Ich denke, dass der wichtigste Titel im Schachsport nicht in einem solchen Format entschieden werden sollte.

Schachbundesliga: Gehen Ihnen während einer Partie bisweilen auch andere Gedanken durch den Kopf, die nichts mit der Position auf dem Brett zu tun haben? Wie etwa ein Ohrwurm oder etwas wie Tals berühmtes Gedicht vom Nilpferd im Sumpf?

Pavel Eljanov: Wenn ich mich recht erinnere, summte ich im Stillen während einer Partie in Baku den Song "Imagine" von John Lennon vor mich hin. An diesem Tag spielte ich sehr gut :-).

Schachbundesliga:Sie spielen in der Schachbundesliga für den USV TU Dresden. In wievielen Ligen bzw. Ländern sind sie noch aktiv?

Pavel Eljanov: In gar nicht einmal so vielen. Dieses Jahr zum Beispiel ging ich nur in drei Runden der israelischen Liga an den Start. Vor 6-7 Jahren war das noch anders, als ich in 5-6 Ländern gleichzeitig an der Mannschaftsmeisterschaft teilnahm. Wahrscheinlich hat die wirtschaftliche Krise in Europa dazu geführt, dass immer weniger Klubs über genügend Budget und Ambitionen verfügen, um ausländische Spieler zu verpflichten. Glücklicherweise ist die Schachbundesliga hier eine Ausnahme aufgrund der stabilien Wirtschaftslage in Deutschland.

Schachbundesliga: Was war das Ungewöhnlichste, das Ihnen je am Schachbrett passiert ist? Vielleicht haben Sie eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen, die Sie mit unseren Lesern teilen möchten?

Pavel Eljanov: Oh, ich hätte hier eine Menge lustiger Geschichten zu erzählen. Aber jede von ihnen kann jemanden verletzen, daher ist es wohl besser, ich schweige hier :-)



Über den Autor

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Marc Lang

Marc Lang ist bekannt für seine Blindschachveranstaltungen und hielt bis Dezember 2016 den Weltrekord im Blindsimultan gegen 46 Gegner, aufgestellt 2011 in Sontheim/Brenz, wo er heute lebt.