Die Schachbundesliga wird überall in der Welt verfolgt - Interview mit Harikrishna Pentala

Erstellt am: 24.03.2016

Er ist der Star des aktuellen Spitzenreiters Solingen und mit einer ELO-Performance von 2879 auch der Top-Scorer: Der 30-jährige indische Großmeister Harikrishna Pentala ist hierzulande kaum bekannt, aber mit einer Rating von 2763 bereits auf Platz 14 der Weltrangliste vorgerückt. Im Interview mit uns sprach er über indische Namen, sein Leben als Schachprofi und wie er einmal im Verdacht stand, Hilfe von außen in Anspruch genommen zu haben.

Schachbundesliga: Harikrishna, eine Frage gleich vorab: Wie vermutlich fast alle westlichen Journalisten habe ich Sie im Vorfeld mit "Mr Harikrishna" angesprochen, was offenbar falsch ist. Können Sie mir und unseren Lesern kurz erklären, wie das System mit Name und Vorname in Indien funktioniert?

P. Harikrishna: In Südindien wird zuerst der Nachname und dann der Vorname geschrieben. Genau wie bei Anand; Viswanathan ist der Name seines Vaters und Anand der Vorname. Die richtige Art, mich anzusprechen, ist Harikrishna und, wenn man mich gut kennt, Hari!

Schachbundesliga: Wann haben Sie begonnen, Schach zu spielen und wer war Ihr erster Lehrer?

P. Harikrishna: Meine ersten Züge machte ich im Alter von 4½ Jahren. Die Regeln wurden mir von meinem Großvater beigebracht.

Schachbundesliga: Sie waren schon in ganz jungen Jahren enorm erfolgreich: 1996 wurden Sie U10 - Weltmeister und 2001 der jüngste indische Großmeister aller Zeiten im Alter von nur 15 Jahren, also sogar noch ein Jahr früher als Anand. Wer unterstützte Sie in diesem frühen Stadium und wie halfen sie Ihnen, in so kurzer Zeit schon ein so starker Spieler zu werden?

P. Harikrishna: Die U10-Weltmeisterschaft 1996 war mein erstes Turnier außerhalb Indiens. Sie zu gewinnen ermöglichte es mir, einen Sponsor zu finden, der meine weiteren Reisen zu Turnieren finanzierte. Mein Lehrer in den Jahren danach war zunächst IM Varugeese Koshy. Er liebte Schach leidenschaftlich und arbeitete weit länger mit mir, als es die Bezahlung vorgesehen hatte (lacht). Von 2000 - 2002 wurde ich von GM Jevgeny Vladimirov trainiert - und nur ein Jahr später wurde ich Großmeister.

Schachbundesliga: Hatten Sie als Kind andere Interessen, die Sie mit derselben Intensität wie Schach verfolgten und in denen Sie vielleicht ähnlich erfolgreich hätten werden können? Könnten Sie sich vorstellen, das Schachspiel eines Tages aufzugeben und etwas anderes zu versuchen?

P. Harikrishna: Es war immer nur Schach. Ich habe natürlich auch andere Hobbies und Interessen, aber ein Leben ohne Schach ist für mich absolut unvorstellbar!

Schachbundesliga: Wie populär ist Schach in Indien derzeit? Wenn Sie in Ihrer Heimat sind, werden Sie dann beispielsweise von Fans auf der Straße erkannt und um ein Autogramm gebeten?

P. Harikrishna: Manchmal werde ich tatsächlich erkannt und auch angesprochen, wenn ich am Flughafen oder in öffentlichen Parks bin. Schach ist nach wie vor sehr populär in Indien; in meiner Region ganz besonders in den Jahren 2000 - 2003, als ich Großmeister wurde und die Commonwealth Meisterschaft gewann und Humpy Koneru bei der Jugend-WM den Titel holte. Aber auch heute spielen sehr viele Inder das Spiel und verfolgen es im Internet. Es bei uns gibt einen gewaltigen Markt für das königliche Spiel, der noch lange nicht ausgeschöpft wurde.

Schachbundesliga: Sie sind vermutlich nicht nur in der Schachbundesliga aktiv, oder? In wievielen Ligen gehen Sie an den Start?

P. Harikrishna: Insgesamt in 6. Neben Deutschland spiele ich in Tschechien, Griechenland, Spanien, der Türkei und Ungarn.

Schachbundesliga: Wie kann man sich das Leben eines Schachprofis wie Ihnen vorstellen? Ist es nicht sehr anstrengend, ständig unterwegs von einem Turnier zum nächsten zu sein und dennoch ständig auf sehr hohem Level Schach zu spielen?

P. Harikrishna: Ich würde sagen, dass das Leben eines Schachprofis vor allem davon bestimmt wird, wie erfolgreich er oder sie spielt. Ich persönlich habe kein Problem damit, viel zu reisen und mich immer wieder aufs Neue an verschiedene Zeitzonen anzupassen. Das war bislang noch nie ein Handicap, ebensowenig wie das laufende Training oder Turniere zu spielen. Das mit Abstand Anstrengendste im Leben eines Profis ist vielmehr der ganze organisatorische Aufwand: Flug- oder Zugtickets, Visas, Zeitpläne für Turniere und für das Training und der ganze andere logistische Kram!

Schachbundesliga: Wie genau organisieren Sie Dinge wie Ihr Training? Sind Sie so diszipliniert, dass Sie Ihrem Trainigsplan auch dann penibel folgen, wenn Sie unterwegs sind?

P. Harikrishna: Ja, eigentlich schon, allerdings ist es nicht immer einfach, Trainingssessions überhaupt in den Tagesplan einzubauen, da viele Turniere direkt aneinander anschließen. Was die physische Seite angeht, so versuche ich, auch während der Turniere immer ein wenig Sport zu treiben.

Schachbundesliga: Im Augenblick scheinen Sie sich auf dem Höhepunkt Ihrer Spielstärke zu befinden: Sie haben mit 2.763 die höchste ELO Ihrer Karriere erreicht und sind in der Live-Weltrangliste auf Rang 14 geklettert. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, irgendwann vielleicht sogar in den Kampf um die Weltmeisterschaft einzugreifen?

P. Harikrishna:  Es macht mich sehr glücklich, dass ich mich stetig verbessere. Aber um ernsthaft um den WM-Titel zu kämpfen muss ich mich noch weiter steigern. Aber es ist ja noch ein wenig Zeit bis zum nächsten WM-Zyklus.

Schachbundesliga: Aktuelle Frage: Wer wird Ihrer Meinung nach das Kandidatenturnier in Moskau gewinnen und wie stehen die Chancen des Siegers, Weltmeister Magnus Carlsen zu schlagen?

P. Harikrishna: Im Augenblick sieht es für mich so aus, als seien Anand und Karjakin die Favoriten auf den Turniersieg, aber Caruana und Aronian sind nur knapp dahinter [Anm. d. Red: Das Interview wurde vor Caruanas Sieg über Anand geführt]. Es fällt mir auf, dass die Spieler alle sehr angespannt sind und häufig weit unter ihren Möglichkeiten spielen. Aber unabhängig davon sind das Kandidatenturnier und ein Endspiel um die Weltmeisterschaft zwei völlig unterschiedliche Dinge. Wer auch immer in Moskau gewinnt, muss sich in einem Match gegen Carlsen einer Herausforderung stellen, die ganz andere Anforderungen an ihn stellen wird.

Schachbundesliga: Sie meinen, der Sieger des Kanidatenturniers ist nicht zwangsläufig der beste Herausforderer?

P. Harikrishna: Sportlich schon, aber ein Match ist nun einmal eine völlig andere Wettkampfform, der der Sieger des Kandidatenturniers gewachsen sein wird - oder auch nicht.

Schachbundesliga: Zurück zur Bundesliga. Sie sind einer der wichtigsten Spieler im Team des Tabellenführers Solingen und mit 7,5 aus 9 und einer ELO-Leistung von 2879 auch der Top-Scorer. Wie schätzen Sie die Chancen Ihres Teams ein, den Seriensieger Baden-Baden dieses Jahr zu entthronen?

P. Harikrishna: Das ist mein erstes Jahr in Solingen und ich bin froh, dass ich mein Team mit meinen Siegen unterstützen kann. Solingen hat gerade wohl einen Lauf, aber es sind immer noch 4 Runden zu spielen. Natürlich hoffen wir alle, dass wir unbeschadet durchkommen werden, aber es ist eher die Aufgabe des Mannschaftsführers, unsere Chancen auf den Titel einzuschätzen. Wir Spieler müssen uns einfach nur auf unsere Partien konzentrieren und das Spiel genießen (lacht).

Schachbundesliga: Sie haben schon in so vielen Ländern und Ligen gespielt, dass Sie sicherlich gut vergleichen können: Wie ist das Publikumsinteresse in die Schachbundesliga, verglichen mit dem in anderen Nationen?

P. Harikrishna: Die Schachbundesliga ist eine der attraktivsten und am meisten beachteten Ligen der Welt und die Partien und Ergebnisse werden nicht nur von Fans in Deutschland verfolgt, sondern überall auf der Welt.

Schachbundesliga: Ich habe kürzlich Anand in Zürich fast fehlerfrei Deutsch, Spanisch und Englisch sprechen hören. Haben Sie auch ein Talent für Sprachen? Könnten wir vielleicht sogar dieses Interview auf Deutsch weiterführen?

P. Harikrishna: Ich kann Deutsch leider weder sprechen noch verstehen. Das ist mir ein wenig peinlich, v.a wenn man bedenkt, dass ich seit 2006 in der Schachbundesliga aktiv bin. Wenn ich wollte, könnte ich aber wahrscheinlich auch Europäische Sprachen lernen, denn ich spreche aktuell Telugu [eine Sprache mit 74 Millionen Sprechern, die in Südindien verbreitet ist, d. Red], Hindi, Englisch und kann drei weitere indische Sprachen verstehen!

Schachbundesliga: Wenn Sie eine Eigenschaft bennenen müssten, die nach Ihrer Erfahrung so richtig "typisch deutsch" ist, welche wäre das?

P. Harikrishna: Pünktlichkeit!

Schachbundesliga: Wo befindet sich Ihr Hauptwohnsitz? In Indien oder haben Sie, wie viele Profis aus Asien, einen "Stützpunkt" in Europa?

P. Harikrishna: Ich verbringe die meiste Zeit in Belgrad, das liegt zentral und hält die Wege kurz, was optimal für Reisen und Training ist. Aber wann immer ich die Zeit dafür finde, besuche ich meine Familie in Indien.

Schachbundesliga: Eine letzte Frage noch: Sie haben schon an vielen Turnieren teilgenommen und dabei tausende Partien gespielt. Was war der lustigste oder ungewöhnlichste Vorfall, an den Sie sich erinnern?

P. Harikrishna: In meinem allerersten Turnier musste ich auf dem Schoß meines Großvaters sitzen - anders hätte ich den Tisch mit dem Brett überhaupt nicht erreichen können. Als ich dann einen stärker eingeschätzen Spieler, der sogar schon über eine Ratingzahl verfügte, besiegen konnte, beschwerten sich die anderen Teilnehmer, dass mein Großvater mir Züge eingesagt hätte. Mein Gegner dagegen war sehr zufrieden mit seiner Niederlage, denn unser gemeinsames Foto erschien am nächsten Tag in einer großen Tageszeitung (lacht).

Schachbundesliga: Harikrishna, vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch!
 



Über den Autor

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Marc Lang

Marc Lang ist bekannt für seine Blindschachveranstaltungen und hielt bis Dezember 2016 den Weltrekord im Blindsimultan gegen 46 Gegner, aufgestellt 2011 in Sontheim/Brenz, wo er heute lebt.