Anfangs war es mein Hauptziel, nicht mit 0/15 in die Geschichte einzugehen - Interview mit Emil Powierski

Erstellt am: 18.04.2016

Der SK Norderstedt steht zwei Runden vor Schluss zwar auf dem letzten Tabellenplatz, doch die Norddeutschen schlugen sich bislang ganz hervorragend: In der Liste der Spieler mit den höchsten ELO-Zugewinnen sind 5 Norderstedter unter den ersten 25. An der Spitze dieser Rangliste liegt der 19-jährige Emil Powierski, der gegen einen ELO-Schnitt von 2507 eine IM-Norm erzielte. Im Interview spricht der junge Mann über den Saisonverlauf, den SK Norderstedt und seine weiteren schachlichen Ziele.

Schachbundesliga: Emil, zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dich für ein Interview zur Verfügung stellst. Bitte stelle Dich unseren Lesern einmal kurz vor.

Emil Powierski: Ich bin jetzt 19 Jahre alt und studiere im 4. Semester Mathe. Früher konnte ich hauptsächlich Erfolge bei Jugendmeisterschaften erreichen,  leider habe ich wiederholt die Qualifikation zu Jugendweltmeisterschaften oder -europameisterschaften  bei den Deutschen Jugendmeisterschaften knapp verpasst, das war damals immer mein schachliches Hauptziel.

Schachbundesliga: Wie bist Du zum Schach gekommen und seit wann bist Du Mitglied in einem Schachverein?

Emil Powierski: Mein Vater spielt Schach und brachte mir das Spiel anfangs näher und  kurz darauf trat ich etwa mit 8 Jahren in den Elmshorner Schachclub ein.

Schachbundesliga: Was fasziniert Dich am Schach? Hast Du noch andere Hobbies und welchen Stellenwert haben diese, verglichen mit Schach?

Emil Powierski: Das ist eine schwierige Frage- es macht mir einfach Spaß. Heute gehe ich eher mal nebenbei Joggen o.Ä., aber auch als ich in der Schulzeit noch andere Sportarten in Vereinen ausübte, lag mein Hauptaugenmerk auf dem Schachspielen.

Schachbundesliga: Wie oft trainierst Du und wie? Hast Du einen Trainer?

Emil Powierski: Ich habe einen Trainer, Frank Lamprecht, mit dem ich früher regelmäßig und heute noch selten meine Partien anschaue. Zusätzlich gab es natürlich noch andere Trainer/Betreuer, die mich beispielsweise bei Jugendmeisterschaften betreuten und mir bei der Vorbereitung halfen.
Aus Zeitmangel trainiere ich in den letzten Jahren sehr wenig - für ernsthaftes Training habe ich z.B. nach einem anstrengenden Unitag auch einfach nicht genügend Motivation und Kraft.

Schachbundesliga: In der Schachbundesliga spielst Du für den SK Norderstedt. Ist dies auch Dein erster Verein?

Emil Powierski: Nein, wie oben angedeutet habe ich beim Verein in meinem Wohnort angefangen, vor knapp zwei Jahren wechselte ich nach Norderstedt, um in den Ligapartien bessere Gegnerschaft zu erhalten.

Schachbundesliga: Norderstedt ist ja, gemessen am Niveau der Liga, eher ein Außenseiter. Geht es daher bei Euch auch „lockerer“ zu? Beschreibe uns ein wenig die Stimmung in Eurem Team. Bereitet Ihr Euch gemeinsam auf die Ligaspiele vor?

Emil Powierski:  Die Stimmung im Team gefällt mir sehr gut und es geht sicherlich lockerer zu als bei anderen- man sollte hier auch bedenken, dass wir im Gegensatz zu allen anderen Teams fast eine reine Amateurmannschaft sind. Wir wussten natürlich schon vor der Saison, dass ein Verbleib sehr unwahrscheinlich ist und es hätte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass wir z.B. Erfurt schlagen oder gegen den HSK mehr oder weniger einen Sieg auf den Brettern haben würden.

Auf die Spiele bereitet sich jeder alleine vor - aus zeitlichen Gründen und weil wir alle recht weit voneinander entfernt wohnen. Allerdings haben wir dieses Jahr schon einen Trainingstag gemacht, an dem ein Großteil teilgenommen hat.

Schachbundesliga: Du wurdest in dieser Saison am 3.-6. Brett eingesetzt, was für einen jungen Spieler mit ELO 2260 eine ziemlich große Herausforderung ist (ELO-Schnitt bislang 2507). Hattest Du vor der Saison deshalb Bedenken, vielleicht zum „Opferlamm“ zu werden?

Emil Powierski:  Auf jeden Fall - auch wenn man sich natürlich auf die Lernerfahrung freut. Anfangs war es mein Hauptziel, nicht mit 0/15 in die Geschichte einzugehen, nachdem ich das in der ersten Runde schaffte, war ich schon etwas weniger beängstigt.

Schachbundesliga: Nun aber bist Du aktuell der Spieler der Liga mit dem höchsten ELO-Zugewinn (+37), was Dir u.a. eine IM-Norm und mit Petr Haba auch den Skalp eines Großmeisters eingebracht hat. Hat Dich der bisherige Saisonverlauf überrascht?

Emil Powierski: Der Verlauf hat mich insofern besonders überrascht, als dass ich derzeit kaum in mein Schach investieren kann. Sicherlich war auch Glück dabei und zudem spiele ich tendenziell gegen bessere Gegner auch besseres Schach.

Schachbundesliga: Was gefällt Dir an der Deutschen Schachbundesliga am besten bzw. am wenigsten?

Emil Powierski: Mir gefallen die Reisen, das Ambiente in den meisten Spielorten... und natürlich die kostenlose Verpflegung. In anderen Ligen ist das nicht besser, aber als negativer Aspekt fällt mir irgendwie schon die Zuschauerzahl ein - bei einem Bundesligawochenende könnte man da mehr erwarten.

Schachbundesliga: Welche (schachlichen) Ziele hast Du noch? Möchtest oder wirst Du mit Schach Deinen Lebensunterhalt verdienen?

Emil Powierski: Also zum Lebensunterhalt verdienen ist es wohl etwas zu spät... Das war aber auch nie das Ziel. Ich habe derzeit nicht so große schachliche Ambitionen, aber wenn ich in nächster Zeit ähnliche Leistungen zeigen würde, wäre der IM-Titel bestimmt ein Ziel für die Zukunft.

Schachbundesliga: Norderstedt steht aktuell auf einem Abstiegsplatz und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den Gang in die 2. Liga antreten. Hast Du Pläne, ggfs. dennoch weiter 1. Liga zu spielen, bei einem anderen Klub?

Emil Powierski: Momentan glauben wir eigentlich noch ein bisschen an ein Wunder. Aber solche Wechselpläne habe ich keineswegs, die Gegner in der zweiten Liga sind an den höheren Brettern immer noch stärker als ich, die Mannschaft gefällt mir und wir haben außerdem gute Chancen, in der näheren Zukunft noch einmal aufzusteigen.

Schachbundesliga: Letzte Frage: Was war Dein bisher ungewöhnlichstes/komischstes/“erzählenswertestes“ Erlebnis am Schachbrett oder drum herum? Vielleicht hast Du ja eine kleine Anekdote, die Du mit unseren Lesern teilen möchtest.

Emil Powierski: Hmm so interessante Sachen gibt´s da nicht... Diese Saison fand ich das unterschiedliche Verhalten meiner Gegner nach Enttäuschung durch das Ergebnis sehr bemerkenswert- es reichte von verweigertem Handschlag bis hin zu einer sehr netten Gratulation mitsamt Kommentaren wie "eine sehr interessante Partie".

PGN Download: 
Partie(n) zum Nachspielen: 
[Event "BL 1516 Erfurter SK - SK Norderstedt"]
[Date "2016.03.13"]
[Round "11.3"]
[White "Powierski, Emil"]
[Black "Haba, Petr"]
[Result "1-0"]
[ECO "C07"]
[WhiteElo "2306"]
[BlackElo "2490"]
[PlyCount "97"]

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Nd2 c5 4. exd5 Qxd5 5. Ngf3 cxd4 6. Bc4 Qd7 7. O-O Nc6 8.
Nb3 Nf6 9. Nbxd4 Nxd4 10. Nxd4 a6 11. c3 Bc5 12. Re1 b5 13. Bb3 Bb7 14. Bg5
Bxd4 15. cxd4 Qc6 16. f3 O-O 17. Bxf6 gxf6 18. Qd2 Qb6 19. Rad1 Rfd8 20. Kh1
Rd6 21. Qh6 Qd8 22. d5 Bxd5 23. Rd4 f5 24. Rh4 Bxb3 25. Rh5 Bxa2 26. Rg5+ Qxg5
27. Qxg5+ Kf8 28. Qh6+ Ke8 29. Qxh7 Rad8 30. h4 Rd1 31. Rxd1 Rxd1+ 32. Kh2 f4
33. Qh8+ Ke7 34. Qe5 Rd5 35. Qxf4 Bb1 36. Qc7+ Kf6 37. Qb6 Bg6 38. Qxa6 Ke5 39.
Qb6 Kf6 40. Kh3 Kg7 41. Qe3 Kg8 42. Qf4 Kg7 43. g4 Kg8 44. Qf6 Kh7 45. Kg3 Kg8
46. b4 Kh7 47. h5 Bxh5 48. gxh5 Rf5 49. Qxf5+ 1-0


Über den Autor

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Marc Lang

Marc Lang ist bekannt für seine Blindschachveranstaltungen und hielt bis Dezember 2016 den Weltrekord im Blindsimultan gegen 46 Gegner, aufgestellt 2011 in Sontheim/Brenz, wo er heute lebt.