Vor einigen Tagen sprach mich ein alter Freund an und beschwerte sich über die Langeweile, die im Schachsport herrsche. Es fehle die Spannung. Selbst eine noch so professionell organisierte Veranstaltung und perfekteste Internetpräsentation ändere nichts daran.
Vor allem würden die Partien viel zu lange dauern. Außerdem wären Schachspieler in der Regel doch eher unterkühlt. Sie würden keine Emotionen zeigen. Nach Verlustpartien schiebe kaum jemand mehr wütend die Figuren zusammen, beschimpfe den Gegner oder würde den König quer durch den Turniersaal werfen. Nach Siegen mache man auch weder eine Beckerfaust noch finde eine Jubelorgie statt. Szenenapplaus im Turniersaal sei ja sowieso verpönt. Darüber meckerte er darüber, dass die Schachbundesliga nur eine Gelddruckmaschine für ausländische Schachmeister sei. Es fehle die Identifikation der Spieler mit den Vereinen und umgekehrt. Frauen- oder Jugendförderung finde auch nicht statt. Es sei schließlich hochnotpeinlich, dass ständig Vereine ihre Teams zurückziehen, die sich diesem kostenintensiven Wettbewerb nicht mehr leisten könnten oder wollten. Dies mache den sportlichen Vergleich zu einer Farce, zumal es ja auch nur wenige Clubs gebe, die gegen Daueranspruch von Baden-Baden und einigen wenigen Clubs etwas tun könnten. Man müsse sich daher überhaupt nicht darüber wundern, dass der „stärksten Liga der Welt“ eine breite Öffentlichkeit fehle. Früher war halt alles besser!
Hatte er Recht? Nachdem ich mich seiner Leiche fachgerecht entledigt hatte, wurde ich nachdenklich.
Schach begeistert und verbindet doch Menschen in aller Welt! Kein anderes Spiel ist so tief in seiner Konzeption und so reich in seinen Möglichkeiten. Auf 64 Feldern erleben wir statisches Belauern und verblüffende Dynamik, schreckliche Reinfälle und geniale Kombinationen. Man muss andererseits zugeben, dass ein wirklich Aufsehen erregender Moment beim Schach selten ist. Nur wenige Menschen wissen die Spannung zu schätzen, die daraus entsteht, dass ein Spieler in einer Eröffnungsvariante aufgrund häuslicher Analyse die Neuerung 27.Se3 zieht. In diesem Sinne droht Schach mit seinen technologischen Fortschritten durch Datenbanken und Computerprogrammen wirklich eine gesichtslose und abgehobene Wissenschaft zu werden, die sich nur noch Fachleuten offenbart. Durch die Bedenkzeitregeln und den Umstand, dass man pro Zug darüber hinaus eine Zeitgutschrift bekommt, haben wir uns darüber hinaus freiwillig die äußere Dramatik genommen, die aus finalen Zeitnotduellen oder ein zünftiges Deathmatch entstehen.
Emotionen? Gut, Carlsen ist ein cooler Typ, aber sonst? Aber hat sich Schach jemals durch heftige Gefühlsausbrüche ausgezeichnet? Ist Schach nicht schon immer eine expertenlastige Randsportart gewesen? Erlebt man Spannung nicht am ehesten durch überraschende Züge und ist die Dauer der Partien nicht auch ist ein Zugeständnis an die gewünschte spielerische Qualität? Dies gilt meiner Meinung nach umso mehr bei Mannschaftskämpfen. Hier vervielfacht sich die begeisternde Dramatik einer Schachpartie zum sportlichen Vergleich. Dabei übernimmt der einzelne Spieler mit seiner Zugentscheidung nicht nur Verantwortung für seine eigene Partie, sondern beeinflusst das Ergebnis des gesamten Teams. Die Spannung potenziert sich und je höher man spielt, desto schmaler ist der Grad. Bist Du an der Spitze, wird es eng.
Schachbundesliga ist internationales Parkett. Hier messen sich ambitionierte Profis aus aller Welt und die, die noch Meister werden wollen; da strauchelt man leicht. Wollen wir das tatsächlich anders?
Und wie soll das gehen, ohne die organisatorischen und finanziellen Leistungen unserer Mitgliedervereine? Will man Erfolg haben, muss alles zusammen passen - Teamgeist, disziplinierte Vorbereitung, mentale Klasse, Inspiration, körperliche Fitness und manchmal auch das Quäntchen Glück. Daneben braucht man eine gut organisierte An- und Abreise, akzeptable Unterbringung, gute Verpflegung, einen licht- und luftdurchfluteten Turniersaal, geeignetes Schachmaterial sowie regelkundig handelnde Schiedsrichter und kompetente Mannschaftsführer. Nur so wird man dem hohen Anspruch gerecht und zieht vielleicht auch Zuschauer an.
Ob im Internet oder Live vor Ort - die Faszination der Schachbundesliga erschließt sich nur dann, wenn optimale Randbedingungen herrschen. Dazu gehört selbstverständlich auch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. All das müssen die Vereine erfüllen. Viele Clubs leisten dies mit Hilfe ihrer Sponsoren seit Jahren aus eigener Kraft. Das muss auch mal gesagt werden und auch stellt eine Verpflichtung gegenüber den Spielern dar, die vertragstreue Partner benötigen, die verlässlich zu ihrem Wort stehen. Ich bin jedenfalls stolz darauf, zusammen mit vielen Mitstreitern meinen bescheidenen Anteil dazu beitragen zu können. Die Idee lebt fort. Ich werde jedenfalls nicht in England weiter machen!
Ihr Ulrich Geilmann