Vor einiger Zeit chatte ich so im Internet mit einem Schachfreund, einem Profispieler, der ein wenig mit seinen aktuellen Turnierergebnissen haderte. Natürlich weckt sowas reflexartig den Hobbypsychologen in mir und da ich mich ja auch ansonsten gerne in Dinge einmische, die mich nichts angehen, meinte ich, einen weisen Rat raushauen zu müssen.
Der lautete: „Frag Dich doch mal, weshalb Du angefangen hast, Schach geil zu finden... und mit diesem Gefühl musst Du in die Partie gehen!“
Ich war so stolz auf mich!
Doch die nachfolgende Antwort tötete sofort mein aufkeimendes geistiges Ejakulat: „Ich habe es nie geil gefunden. Schach ist für mich ein Job! Nebenbei lernt man interessante Menschen kennen.“
Zunächst war ich konsterniert. Doch die Antwort war grundehrlich und je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, wie sehr ich das Spiel und seine Protagonisten doch von einem naiv-romantischen Standpunkt betrachte. Für mich bedeutet Schach einen geistigen Prüfstein, den man bei einem guten Glas Rotwein und einem Stück Käse in der gediegen eingerichteten Bibliothek seines Zweitwohnschlosses in der Provence vor dem prasselnden Kaminfeuer genießt. Eine Art der Flucht von der realen Welt!
Doch die Menschen, denen ich dabei über die Schulter schaue, müssen damit zum Teil einfach ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dadurch entsteht ein ungeheurer Druck – so viel steht fest. „Ein selbst gewähltes Schicksal“ - kann man jetzt einwenden. Stimmt - aber wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mir dazu eigentlich noch nie tiefere Gedanken gemacht.
Außerdem führten mich meine Überlegungen zu der Frage, warum Schach eigentlich so sehr fasziniert? „Bobby“ Fischer hat dazu einmal in einem Interview gesagt: „…The greatest pleasure? When you break his ego…“. Eine andere, auch sehr extreme Schachpersönlichkeit, Alexander Aljechin sah das so: „…Schach ist für mich kein Spiel, sondern eine Kunst. Ja, und ich nehme all jene Verantwortung auf mich, die eine Kunst seinen Anhängern auferlegt…“. Ein weiterer Weltmeister, Anatoly Karpov, erweiterte die Begriffskette: „…Schach ist alles: Kunst, Wissenschaft und Sport…“. Etwas launiger kommentierte der große Dramatiker George Bernhard Shaw die Sache: „…Schach ist ein törichtes Mittel um träge Leute glauben zu lassen, dass sie was Intelligentes treiben, wenn sie nur ihre Zeit vergeuden…“. Entfernt ähnlich habe ich das auch einmal formuliert: „…Schach ist ein wundervolles Spiel - aber eben nur wenn man gewinnt; verliert man ist es eine verdammte Zeitverschwendung…“. Richtig ist aber auch, dass Schach, wenn man nicht gerade ein egozentrischer Psychopath ist, Geselligkeit und Kommunikation unter Gleichgesinnten ermöglicht und so die persönliche und soziale Entwicklung fördern kann.
Sport, Kunst, Analytik, Psychologie, Geselligkeit, Kommunikation, Spielsucht. Ich glaube, dass sich jeder Schachspieler in diesem Spannungsfeld bewegt. Bei Schachprofis kommt jedoch noch eine wichtige Komponente hinzu: dem hungrigen Magen ein Stück Brot zu beschaffen. Was das bedeutet, können nur die ermessen, die es selbst einmal versucht haben, sich in dem Haifischbecken, den wir Schachzirkus nennen, zu tummeln.
Und wie sind da die Rahmenbedingungen?
Nun, vor einiger Zeit wurde hierzu eine Statistik veröffentlicht, die aufzeigte, dass eigentlich nur die Spitzenspieler vom Schach leben können. Dabei gibt es bei den Einkommensverhältnissen zudem noch deutliche geschlechterspezifische Besonderheiten. Für die überwiegende Mehrheit der großen Meister fällt ansonsten vielleicht hier und da mal ein Antritts- oder Preisgeld in einem Open oder ein eher überschaubares Spielergehalt ab. Wen wundert’s also, dass die meisten Schachprofis als Legionäre von einer Liga zur anderen und von einem Turnier zum nächsten jetten. Sie sind froh, wenn sie ihr schmales Gehalt außerdem durch Vorträge oder Simultanveranstaltungen aufbessern können. Der Fluch der Randsportart!
Klar, bei diesen Reisen sehen sie was von der Welt - beneidenswert. Allerdings sind diese Erlebnisse meistens auch nur beschränkt und bestehen mehr oder weniger aus den Augenblicken der An- und Abreise, einem Leben im Hotel und dessen Umgebung sowie der eigentlichen Arbeit im Hotelzimmer und Turniersaal. Da kann man schon einmal einsam werden, denke ich.
Ehrlich gesagt ist mir da mein karges Beamtendasein mit festem Tagesablauf aber gutem Gehalt lieber. Abgesehen davon würde ich als Schachprofi schlichtweg verhungern und wer mich näher kennt weiß, wie sehr ich ein gutes Essen in geselliger Runde schätze!