Solingen nach Herzschlagfinale Meister

Erstellt am: 24.04.2016
Meisterfoto Solingen | Foto: Guido Giotta

Die SG Solingen gewinnt durch ein 5:3 gegen den SV Griesheim die deutsche Meisterschaft 2015/16. Nach einem dramatischen Kampfverlauf sicherten die Holländer Jan Smeets und Robin van Kampen durch ihre Siege den Klingenstädtern den 12. Titel der Vereinsgeschichte. Gleichzeitig beendete Solingen die 10-jährige Dominanz der OSG Baden-Baden in der SBL. Baden-Baden landete auf Platz zwei, Werder Bremen auf Platz drei. Griesheim, München und Norderstedt müssen nach jetzigem Stand der Dinge den Gang in die zweiten Ligen antreten. Wir fassen die Höhepunkte des Saisonfinales an den Spielorten Solingen, Mülheim, Bremen und Meißen zusammen.

Vor Beginn der 15. und letzten Runde der Saison 2015/16 lag Solingen mit einem Punkt Vorsprung auf Baden-Baden an der Tabellenspitze. Der Gegner hieß SV Griesheim und ein Sieg war im Prinzip vorprogrammiert. An jedem Brett hatte Solingen riesige Elo-Vorteile, obwohl im Vergleich zum Vortag Markus Ragger nicht dabei war. Der Österreicher fungiert als Sekundant für Pentala Harikrishna beim Superturnier in Norwegen. Glück im Unglück, denn am Samstag war spielfrei in Stavanger und Ragger flog nur für den Kampf gegen Hockenheim ein.

Trotzdem, niemand hatte Griesheim ernsthaft auf der Rechnung, doch dann begann das große Nervenflattern!

Es begann mit zwei Remis. Chanda Sandipan forcierte gegen Ivan Farago nach 20 Zügen die Zugwiederholung in unklarer Stellung. Artur Jussupow spielte von Beginn an mit der Russischen Verteidigung supersolide gegen den jungen Robert Baskin. Beim Remisangebot stand ein ausgeglichenes Doppelturmendspiel auf dem Brett. Das waren aus Solinger Sicht zwei Schwarzremis, kann man gelten lassen. Und insbesondere als der Superstar an Brett eins, Richard Rapport, für die Führung sorgte, war bei den Verantwortlichen die Welt in bester Ordnung.

Rapport,Richard (2649) - Tazbir,Marcin (2517)
SBL 15/16, SV Griesheim - SG Solingen, 24.04.2016


Stellung nach 19...g5:

20.b6! Öffnet die a-Linie und erkämpft das Feld e5 für den Springer. 20...axb6 21.axb6 Lxb6 22.Se5 The8? Und schon greift Schwarz fehl. 22...Kc7 musste geschehen. Nach 23.Tb3 Ta8 24.Tab1 Ta6 25.g4!? besitzt Weiß Initiative für den Bauern, aber nicht mehr. 23.Tb3! Lc7 23...Kc7 24.Txb6! Kxb6 25.La5+ Ka7 26.Lc7# 24.Ta8+ Lb8

25.Sc6! Die schwarze Stellung fällt auseinander. 25...Td1 25...bxc6 26.Taxb8+ Kd7 27.T8b7+ Kd6 28.f3+- kostet einen Springer, genau wie am Ende der Partie. 26.Txb8+ Kc7 27.T8xb7+ Kd6 28.Td3+ Kxc6 29.Txd1 Schwarz gab auf, da er nach 29...Kxb7 30.f3 den Springer auf e4 verliert. 1-0

Marcin Tazbir gegen Richard Rapport | Foto: Guido Giotta
Marcin Tazbir gegen Richard Rapport | Foto: Guido Giotta

Es ging weiter mit einem Remis an Brett sieben. Alexander Naumann hatte in einer Katalanischen Partie gegen Stefan Walter nichts rausgeholt und willigte nach 27 Zügen ins Remis ein. Dann kam der Hammer. Predrag Nikolic, sonst die Zuverlässigkeit in Person, patzte mit Weiß gegen Lukasz Jarmula. In schon unangenehmer Stellung stellte er einzügig Material ein und gab sofort auf. Es stand 2,5:2,5 und plötzlich schien ein 4:4 nicht unwahrscheinlich.

Zwar hatte Jan Smeets Vorteil an Brett drei gegen Gyula Izsak, doch auf der anderen Seite stand Ronald Koehler gegen Floran Handke an Brett acht besser. An Brett zwei sah die Lage besser aus für Robin van Kampen gegen Jaroslaw Krassowizkij, doch in einer verrückten Königsindischen Partie mit herumirrenden Königen kann alles passieren. Nicht zu sprechen von der extremen Drucksituation, in der sich die Solinger Spieler zu diesem Zeitpunkt befunden haben müssen.

Bei den Solinger Fans, insbesondere beim Teamchef Herbert Scheidt, dürfte sich der Puls nach dem Remis an Brett acht wieder im zweistelligen Bereich eingepegelt haben. Koehler verpasste die Chance, sich einen Mehrbauern zu sichern, und ließ die Stellung stattdessen verflachen. Mit einem gut getimten Remisangebot rettete Handke den halben Punkt und dürfte direkt danach drei Kreuze gemacht haben. Etwas später stellte Jan Smeets die Weichen auf Solinger Sieg. Der 31-jährige Holländer hatte sich in einer Sizilianischen Partie früh einen positionellen Vorteil gesichert und blieb auch in den Verwicklungen die ganze Zeit cool. In der folgenden Stellung machte er den Sack zu:

Smeets,Jan (2617) - Izsak,Gyula (2443)
SBL 15/16, SV Griesheim - SG Solingen, 24.04.2016

Stellung nach 30...Kf8:

31.Te4! Stellt die Weichen endgültig auf Sieg, indem er den guten schwarzen Turm auf e5 abtauscht. 31...Df2 31...Txe4 32.Dxe4 Dd8 33.Te1+- war etwas zäher, denn jetzt erhält Weiß einen starken Freibauern auf der d-Linie. 32.Txe5 dxe5 33.Dg4! Dc2 34.d6 Kf7 35.Df3! e4 36.Dh5+ g6 37.Dd5+ Kg7 38.Te1 e3 39.Dxb7+ Kh6 40.Df3 Te8

41.d7! Dd2 42.Dh3+ und Schwarz gab auf wegen 42...Kg7 (42...Kg5 43.Dg3+ Kh6 44.dxe8D+-) 43.dxe8S+! 1-0

Gyula Izsak gegen Jan Smeets | Foto: Guido Giotta
Gyula Izsak gegen Jan Smeets | Foto: Guido Giotta

Es oblag Robin van Kampen mit einem sehenswerten Finish das 5:3 und die Meisterschaft für Solingen zu sichern. Der 21-jährige Holländer riskierte von Beginn an alles mit einer weit ausanalysierten Variante der Königsindischen Verteidigung. Letztendlich zeigte er sich besser präpariert für die Verwicklungen und beendete die Partie mit einem Matt, nachdem er den weißen König über das halbe Brett gejagt hatte.

Krassowizkij,Jaroslaw (2429) - Van Kampen,Robin (2615)
SBL 15/16, SV Griesheim - SG Solingen, 24.04.2016

Stellung nach 45.Sc6:

45...Dc1+! Das führt forciert zum Matt. 46.Kb3 Sc5+ 47.Kb4 Txa4+! 48.Txa4 Db2+ 49.Db3 Sd3# Stilvoll. Natürlich ging auch 49...Dxb3#  0-1

Robin van Kampen gegen Jaroslaw Krassowizkij | Foto: Guido Giotta
Robin van Kampen gegen Jaroslaw Krassowizkij | Foto: Guido Giotta

Aufatmen bei den Hausherren. Nach einem dramatischen Verlauf am letzten Spieltag gewann Solingen zum 12. Mal die deutsche Meisterschaft. Es war der erste Titelgewinn nach 19 Jahren. Die SG Solingen bleibt damit Rekordmeister in der Schachbundesliga. Einen großen Anteil an diesem Erfolg hat Herbert Scheidt. Er ist schon seit fast 50 Jahren Teamchef der Klingenstädter und war schon beim Titelgewinn im Jahr 1968 dabei! Außerdem ist er mitverantwortlich für das Engagement des Hauptsponsors Forst, den er über persönliche Beziehungen mit ins Boot holte.

Sportlich leistete Solingen in dieser Saison Außergewöhnliches. Das Team wuchs über sich hinaus und machte von allen Bundesligisten das größte Elo-Plus. Insbesondere die Neuzugänge Pentala Harikrishna, Richard Rapport und Robin van Kampen schlugen bombastisch ein. Sie alleine holten 24,5 Punkte aus 31 Partien, bei nur einer Niederlage.

Teamchef Herbert Scheidt mit Pokal umrahmt von seinen Spielern | Foto: Guido Giotta
Teamchef Herbert Scheidt mit Pokal umrahmt von seinen Spielern | Foto: Guido Giotta

In Solingen fand noch ein zweiter Kampf statt. Die SG Trier gewann gegen den SV Hockenheim mit 4,5:3,5. Für die Domstädter war es ein versöhnlicher Abschluss einer durchwachsenen Saison, während es für Hockenheim ein desaströser Abschluss war, insbesondere, wenn man bedenkt, mit welch starker Mannschaft die Rennstädter in Solingen antraten.

Baden-Baden und Mülheim mit Kantersiegen

Die OSG Baden-Baden und der SV Mülheim Nord beendeten die Saison jeweils mit einem 6,5:1,5. Baden-Badens Teamchef, Sven Noppes, wird wohl ausschließlich die Liveübertragung aus Solingen verfolgt und zwischendurch Hoffnung geschöpft haben. Bei seinen Mannen bestand nie die Gefahr eines Ausrutschers. Ein Highlight lieferte Arkadij Naiditsch gegen Leon Mons, mit dem er noch ein Hühnchen zu rupfen hatte, nachdem er vor drei Jahren gegen ihn verlor.

Naiditsch,Arkadij (2684) - Mons,Leon (2464)
SBL 15/16, OSG Baden-Baden - SC Hansa Dortmund, 24.04.2016

Stellung nach 30...f5:

Schwarz scheint Gegenspiel zu besitzen, doch mit dem nächsten Zug weist Weiß nach, dass er am längeren Hebel sitzt. 31.e5! dxe5 32.Sxc6! exd4 Schwarz setzt alles auf seinen starken Freibauern, doch es wird nicht reichen. 33.Sxe7 Kxe7 34.c5! Sc4 35.Tg7+! Kd8 35...Ke6 36.c6!+- 36.Tf7 d3 37.Txf5 d2 38.Td5+ Weiß hat den d-Bauern aufgehalten und gewinnt dank seines Freibauern auf der f-Linie. 38...Kc7 39.f4 Kc6 40.Td3 Kxc5

41.Kxh4! Es war nicht zu spät für einen Fehler. 41.f5?? Sd6! 42.f6 Se4 43.f7 Sg5+= kostet den f-Bauern und Weiß hätte kein Gewinnpotential mehr. 41...Kb4 42.Kxh5 Kxa4 43.f5 1-0

Arkadij Naiditsch | Foto: Georgios Souleidis
Arkadij Naiditsch | Foto: Georgios Souleidis

Mülheim beendete eine Saison mit mehr Tiefen als Höhen mit einem klaren Sieg gegen München. Aus diesem Kampf haben wir das folgende Highlight rausgepickt.

Berelowitsch,Alexander (2521) - Schenk,Andreas (2483)
SBL 15/16, Bayern München - SV Mülheim Nord, 24.04.2016

Stellung nach 21...h6:

Der Läufer auf g5 ist angegriffen. Muss er abziehen? 22.Lxg6! Nein, Weiß findet eine Gewinnkombination. 22...fxg6 23.Dxg6 hxg5

24.Txd6! Die Pointe. 24...Dxd6 25.Sxg5 Schwarz kann das drohende Matt nicht vernünftig abwehren. 25...Txf2 26.Dh7+ Kf8 27.Dh8+ Ke7 28.Dxg7+ Kd8 29.Kxf2 Df4+ 30.Sf3 1-0

Bayern München stand schon vor dem letzten Spieltag praktisch als Absteiger fest. Die Bajuwaren blieben nominell hinter den Erwartungen zurück und verloren von allen Teams die meisten Elo-Punkte.

Bremen souverän, Emsdetten mit gelungenem Abschied

Werder Bremen setzte mit dem 6,5:1,5 gegen Erfurt das I-Tüpfelchen auf eine sehr gute Saison, die mit dem dritten Platz und klaren Vorsprung auf Schwäbisch Hall belohnt wird. Bei den Hausherren gaben in der letzten Runde nur Matthias Blübaum, Vlastimil Babula und David Smerdon einen halben Punkt ab, während es sich fast schon erübrigt zu erwähnen, was Alexander Markgraf machte. Er gewann auch die letzte Partie und war mit 9,5 Punkten aus elf Partien der überragende Akteur auf Bremer Seite in dieser Saison.

Der SK Turm Emsdetten verlässt die SBL erhobenen Hauptes. Die Münsterländer trotzten dem SK Schwäbisch Hall ein 4:4 ab. Die Haller dürfen Tigran Gharamian danken, der beim Stand von 3:4 wenigstens für den Ausgleich sorgte und damit auch sein Fauxpas von gestern wettmachte. Schwäbisch Hall beendet die Saison auf einem guten vierten Platz, aber schon mit deutlichem Rückstand auf Bremen, während Emsdetten mit 16 Punkten einen guten Mittelfeldplatz einnimmt.

Berlin gewinnt Endspiel um Platz fünf

In Meißen stand das Duell zwischen dem Hamburger SK und den Schachfreunden Berlin auf dem Programm. Beide Teams wollten die tolle Saison mit einer für sie ungewöhnlich guten Platzierung krönen. Der Kampf verlief sehr spannend. Kamil Miton brachte den HSK in Führung, die Daniele Vocaturo ausglich. Jonathan Carlstedt sorgte wiederum für die Hamburger Führung, doch an den Brettern vier und fünf hatte Berlin klare Vorteile. Kacper Piorun, der eine überragende Saison spielte und mit seiner Leistung intern einen neuen Punkterekord aufstellte, siegte gegen Jonas Lampert, bevor Alexander Mista den Schlusspunkt zum 4,5:3,5 für Berlin setzte.

Ftacnik,Lubomir (2556) - Mista,Aleksander (2589)
SBL 15/16, Hamburger SK - SF Berlin, 24.04.2016

Stellung nach 50.Ke1:

Weiß hatte vor zwei Zügen einen Läufer auf d5 geschlagen. Ein Computer würde jetzt mit 50...Dc2! gewinnen, doch ein Mensch kommt auch auf die folgende Idee. 50...Txe2+!? Schwarz wählt den Übergang in ein gewonnenes Bauernendspiel. 51.Dxe2 Dxe2+ 52.Kxe2 exd5 53.Kd3 Kg6 54.Kc3 Kf6 55.Kb4 Ke6 56.Ka4 Kd6 57.Kb5 Kd7 58.Ka4 Kc6 59.Kb4

Bis hierhin war alles forciert und jetzt folgt 59...b5! 60.Ka5 b4! 61.Ka4 b3! Irgendwann muss Weiß den Bauern schlagen und dem schwarzen König die Opposition überlassen. 62.Kxb3 Kb5! Schwarz schlägt den weißen a-Bauern, ohne dass Weiß Zugang zum Bauern d5 erhält. 0-1

Das Endspiel um Platz fünf haben einige Berliner live verfolgt und auf der eigenen Webseite live kommentiert. Hier erhält man einige interessante Einblicke und Informationen.

Der USV TU Dresden bescherte sich mit einem 6,5:1,5 gegen Norderstedt vor heimischer Kulisse einen versöhnlichen Saisonabschluss. Insgesamt blieben die Sachsen mit 15 zu 15 Punkten und dem neunten Tabellenplatz im Soll. Norderstedt muss wieder den Gang in die 2. Bundesliga Nord antreten, die Saison verlief aber durchaus zufriedendestellend, bedenkt man die Möglichkeiten dieses Teams. Insbesondere der Sieg gegen Erfurt wird in Erinnerung bleiben.

Ergebnisse der 15. Runde
Kreuztabelle
Alle Partien nachspielen auf dem Liveportal



Über den Autor

Bild des Benutzers Georgios Souleidis

Georgios Souleidis ist Internationaler Schachmeister und hat in Bochum Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert. Er arbeitet als Journalist, Autor und Schachtrainer. Er schreibt u.a. als Chefredakteur für die Schachbundesliga, für Chessbase, die Zeitschrift SCHACH, SPIEGEL ONLINE oder die Deutsche Presse-Agentur. Falls er mal nicht schreibt, Training gibt oder auf seinem YouTube-Kanal Schach lehrt, versucht er aktiv am Brett zu beweisen, dass 1. e2-e4 der beste Eröffnungszug ist.