Mit Anand an die Tabellenspitze

Erstellt am: 08.12.2019

Das Wochenende vor seinem 50. Geburtstag war eine schöne Gelegenheit für Visvanathan Anand, sich daheim im Kreis der Familie zurückzulehnen, noch einmal die Gästeliste und die Menüfolge für die anstehenden Feier durchzuschauen, vielleicht an seiner Ansprache zu feilen. Es wird ja nicht nur ein Geburtstag gefeiert, sondern eine Karriere, wie es sie im Schach kaum einmal gegeben hat. Anstatt sich zurückzulehnen, hat sich Anand dafür entschieden, auch am Wochenende weiter an der Karriere zu basteln. An beiden Tagen saß Vishy für seine Baden-Badener am Brett und trug 1,5 Punkte dazu bei, dass der Serienmeister schon nach vier Spieltagen alleine verlustpunktfrei an der Tabellenspitze steht.

Hamburg

SC Viernheim – SG Turm Kiel 4,5:3,5
Aachener SV – Hamburger SK 1,5:6,5

David Anton, Spitzenmann der Viernheimer, hätte sich neulich auf der Isle of Man beinahe für das Kandidatenturnier qualifiziert. Aber wie stark der Spanier auch sein mag, an diesem Sonntag trieb sein Schach den Viernheimer Mitspielern den Schweiß auf die Stirn. Früh und sehenden Auges begab sich Anton auf ebenso unerforschtes wie heikles Terrain. Auf Seiten der Kieler nahm Ivan Cheparinov den Fehdehandschuh auf, steckte einen Turm (!) ins Geschäft, um dafür Antons König dauerhaft in der Mitte festzunageln. Es folgte die spektakulärste Partie des vierten Spieltags, die lange danach aussah, als könne Anton kaum überleben. Aber das tat er, und so feierten seine Viernheimer einen hart erkämpften Sieg über starke Kieler.

Was FIDE-PR-Chef David Llada am Wochenende macht? Bundesliga gucken natürlich. Die Partie Cheparinov-Anton fand nicht nur Llada besonders spannend.
Was FIDE-PR-Chef David Llada am Wochenende macht? Bundesliga gucken natürlich. Die Partie Cheparinov-Anton fand nicht nur Llada besonders spannend.

 

Mit schöner Zuverlässigkeit kreieren die Aachener einen Helden des Tages, der einen nominell deutlich stärkeren Widersacher wunderbar niederringt. In der vierten Runde war Thomas Koch dieser Held, der mit Sune Berg Hansen den Hamburger Helden des Vortags sehenswert bezwang.

Koch versus Hansen, der Aachener Ehrensieg: 27.Te8+!, 28.Sf6 und es ist um Schwarz geschehen.
Koch versus Hansen, der Aachener Ehrensieg: 27.Te8+!, 28.Sf6 und es ist um Schwarz geschehen.

 

Dresden

BCA Augsburg – SF Berlin 3:5
FC Bayern München – USV TU Dresden 4,5:3,5

Wer sich in der Nähe des Dresdner Spiellokals aufhielt, der konnte am Sonntagnachmittag zwei deutlich vernehmbare „Endlich!“-Rufe hören. Da waren zum einen die Berliner, deren polnisch dominierte Auswahl nach einem 0:4-Start am ersten Wochenende schon am Vortag den FC Bayern bezwingen wollte, was beim 4:4 nur halb gelang. Gegen Augsburg gelang schließlich der erste Sieg. Kryzsztof Jakubowski, der tags zuvor mit einem Sieg wenigstens das Unentschieden gerettet hatte, machte sein Doppelpack-Wochenende komplett: zwei aus zwei.

Krzysztof Jakubowski. || Foto: SF Berlin
Krzysztof Jakubowski. || Foto: SF Berlin

 

„Endlich“ sagten auch die Münchner nach einem hart erkämpften 4,5:3,5 über Dresden. Während die Münchner kommenden Aufgaben nun etwas entspannter angehen können, steht Dresden unter Druck. Null Punkte nach vier Spieltagen sind deutlich zu wenig.

Baden-Baden

SG Solingen – SF Deizisau 4,5:3,5
SV Mülheim Nord – OSG Baden-Baden 2,5:5,5

Solingen lebt, das ist die Botschaft des Tages aus Baden-Baden. Mit 4,5:3,5 entthronte die Solinger Truppe die bis dahin verlustpunktfreie Mannschaft aus Deizisau. Der Sieg hätte gar noch deutlicher ausfallen können, hätte nicht Jan Smeets am siebten Brett gegen Vincent Keymer ein noch größeres Drama kreiert als am Vortag. Dem Holländer entglitt ein gewonnenes Endspiel gleich doppelt, sodass sich die Partie komplett drehte und Deutschlands jüngster Großmeister gar einen vollen Punkt einfuhr.



Baden-Baden tat sich derweil schwer gegen Müllheim Nord. Zwar zeichnete sich bald ab, dass die speziell an den unteren Brettern nominell haushoch überlegenen Gastgeber gewinnen würden, doch zwangen die Mülheimer den Serienmeister über die Distanz. Den Ehrensieg der Mülheimer feierte Volkmar Dinstuhl, der sich den Skalp von keinem Geringeren als Alexei Schirow an den Gürtel heftete.

Schirow-Besieger Volkmar Dinstuhl | Foto: Georgios Souleidis
Schirow-Besieger Volkmar Dinstuhl | Foto: Georgios Souleidis

 

Lingen

SV Hockenheim – SV Werder Bremen 4,5:3,5
SG Speyer-Schwegenheim – SV Lingen 3:5

Von Bremens Tamir Nabaty heißt es, er sei eine Wundertüte. Der Israeli kann gegen deutlich Schwächere Probleme bekommen, aber mit seinem originellen Stil eben auch jeden schlagen. Zum Beispiel einen Weltklassemann wie Vladimir Fedoseev, der an diesem Sonntag das Hockenheimer Spitzenbrett hütete. Aber trotz Nabatys Sieg erwischte es die bis dahin bei 6:0 Punkten stehenden Bremer zum ersten Mal. 4,5:3,5 siegten die Meisterschaftsmitfavoriten aus Hockenheim, die nun weiter träumen dürfen,  aber bereits auf Baden-Badener Ausrutscher hoffen müssen.

Tamir Nabaty, immer für einen Punkt gut, oft für einen spektakulären.
Tamir Nabaty, immer für einen Punkt gut, oft für einen spektakulären.

 

Aufsteiger Lingen sorgt derweil weiter für Aufsehen. Überraschend war das 5:3 über Speyer-Schwegenheim eher nicht, aber Platz drei in der Tabelle nach vier Spieltagen und einem nicht zu verachtenden Auftaktprogramm ist es durchaus.

 

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Über den Autor

Bild des Benutzers Conrad Schormann

Conrad Schormann, gelernter Tageszeitungsredakteur, betreibt in Überlingen am Bodensee ein Büro für Redaktion und Kommunikation. Beruflich hilft er Unternehmen, Verbänden oder Parteien bei der Außendarstellung. Ambitioniertes Schach hat er mangels Talent und Trainingseifer aufgegeben und auf Schach-Fan umgesattelt. Manchmal guckt er nicht nur zu, sondern schreibt auch noch darüber, in erster Linie auf seinem Blog, außerdem für die Schachbundesliga.