Hamburg im Glück

Erstellt am: 12.12.2015

In drei vorgezogenen Begegnungen der 7. Runde gab es drei Sieger. Die SG Solingen bezwang die SG Trier mit 6:2 und liegt mit der OSG Baden-Baden gleichauf an der Spitze. Hockenheim hatte beim 5,5:2,5 gegen Griesheim keine Mühe. Ein spannendes Derby lieferten sich Hamburg und Norderstedt. Zuerst sah es nach einem sicheren Sieg der Gastgeber aus, doch dann geschah Seltsames an Brett eins und Norderstedt lag plötzlich klar in Front, bevor sich das Blatt abermals wendete und ein Youngster bei seinem ersten Bundesligaeinsatz Hamburg den Sieg mit 4,5:3,5 sicherte.

Gemäß den Elo-Zahlen sah das Derby zwischen dem Hamburger SK und dem SK Norderstedt nach einer klaren Sache für den HSK aus, doch wie das Nachbarschaftsduelle manchmal so an sich haben, entwickelte sich ein dramatischer Schlagabtausch. Am Spitzenbrett traf der U20-Vizeweltmeister Jan-Krzysztof Duda (Hamburg) auf MIchal Olszewski (Norderstedt). Da die beiden sich aus Polen kennen, versuchten sie sich in einer sizilianischen Partie zu Beginn bei der Zugfolge auszutricksen. Insbesondere Olszewski verbrauchte in einer eigentlich bekannten Stellung sehr viel Zeit und musste alsbald einen Bauern für geringe Kompensation abgeben. Olszewski bot im Mittelspiel aber sehr viel Widerstand und hatte in der folgenden Stellung sogar den Makel wieder wett gemacht.

Michal Olszewski (2548) - Jan-Krzysztof Duda (2645)
SBL Hamburger SK-SK Norderstedt, 11.12.2015

Stellung nach 40.Ld5:

Plötzlich kam die Info, dass Weiß gewonnen hätte. Was war passiert? Duda war um den 20. Zug herum beim Aufschreiben verrutscht und hatte einen Zug fälschlicherweise in die falsche Zeile eingetragen. Er ging davon aus, dass er die Zeitkontrolle geschafft hätte und verschwand auf die Toilette. Nach seiner Rückkehr war die Zeit abgelaufen und dem Schiedsrichter blieb nichts anderes übrig, als Olszewski den vollen Punkt anzuerkennen. Unter dem Einruck, dass Duda die ganze Partie besser gestanden hatte, brach im Hamburger Lager die "Panik" aus, denn an vielen Brettern hatten die Gäste Oberhand gewonnen. Die Befürchtungen verschlimmerten sich, nachdem im Duell der Youngster Benedict Krause (Noderstedt) Jonas Lampert (Hamburg) besiegte und Noderstedt mit 3:1 vorne lag.

Nur die kühnsten Optimisten glaubten jetzt noch an ein Comeback. Sehr schlecht sah es nämlich an Brett sechs aus.

Mueller,Karsten (2535) - Polischuk,Viktor (2321)
SBL Hamburger SK-SK Norderstedt, 11.12.2015

Stellung nach 46.Lxe2:

Viele der Zuschauer sahen es schon kommen, dass 46...Sf4 gewinnt. 46...Dc2 Doch Schwarz verzichtet. 46...Sf4! 47.Ld1 Da2+ 48.Df2 (48.Lf2 Se6 49.De3 Dd5-+) 48...Dd5 49.Df1 Dd2+ 50.Lf2 Sxh3-+ (50...g3+ setzt sogar forciert Matt) mit weiterem Materialgewinn. 47.Dc4 Dd2?! 48.Dxc6?! 48.hxg4 ist zäher. 48...Dxe2+ 49.Kg1 Dd1+ 50.Kh2 Dd2+ 51.Kh1 Mit zwei Mehrbauern steht Schwarz weiter auf Gewinn, doch des Rechnens müde willigt Polischuk überraschend ins Remis. 51...gxh3? 51...Kh7 52.hxg4 Dd3 53.Kh2 Se3-+ 52.Dc8+ Weiß hat jetzt Dauerschach. 52...Kh7 53.Df5+ Kg8 54.De6+ Kh8 55.Dc8+ ½-½


Viktor Polischuk verpasste den Sieg gegen Karsten Müller

Die zwei letzten noch laufenden Partien sprachen für Hamburg. Dorian Rogozenco hatte sich gegen Emil Powierski aus der Eröffnung heraus eine vorteilhafte Stellung erspielt und einen Bauern gewonnen. Die Konstellation zu später Stunde lautete Turm und Läufer vs. Turm und Läufer plus drei Bauern vs. zwei Bauern auf einem Flügel. Der Bundestrainer spielte seine ganze Erfahrung aus und glich für Hamburg aus. Es lief nur noch die Partie an Brett acht, wo der 18-jährige Julian Kramer bei seinem ersten Einsatz in der Bundesliga gegen Thomas Kahlert antrat. In einem theoretisch remisen Turmendspiel mit f- und h-Bauer gab Kramer den h-Bauern und es entstand die folgende Stellung.

Kramer,Julian (2323) - Kahlert,Thomas (2178)
SBL Hamburger SK-SK Norderstedt, 11.12.2015
Stellung nach 95.f6:

Schwarz hatte es sich unnötig schwer gemacht, denn er hätte vorher die bekannte Philidor-Stellung einnehmen können, um das Turmendspiel remis zu halten. Aber es ist immer noch remis. 95...Te1? Der Turm gehört auf die "lange Seite", um Schachs zu geben, z.B. 95...Ta1 96.Te8 Ta7+ 97.Te7 Ta8 98.Tb7 Tc8 99.Ke7 Kg8 100.f7+ Kg7 101.Tb1 Tc7+= Natürlich kann Weiß vorher noch ein paar andere Wege probieren, doch das Prinzip ist immer gleich. 96.Te8 Tf1 97.Te2 Es gewannen auch viele andere Züge. Der f-Bauer ist jetzt nicht mehr aufzuhalten. 97...Th1 98.Ke7 Ta1 99.f7 Ta7+ 100.Kf6 Ta6+ 101.Te6 Ta8 102.Te8 1-0

Glück für Hamburg, bitter für Norderstedt, die zumindest einen Zähler verdient gehabt hätten. Für Julian Kramer war es indes ein besonderer Tag. Erster Einsatz in der Bundesliga und gleich der entscheidende Sieg für seine Mannschaft.


Julian Kramer mit perfektem Bundesligadebüt

Solingen und Hockenheim souverän

Der Kampf zwischen der SG Solingen und der SG Trier war eine einseitige Angelegenheit, obwohl Trier mit acht Großmeistern antrat. Beim 6:2 spielten sich die Klingenstädter warm für den Spitzenkampf am Samstag gegen Werder Bremen. Der SV Hockenheim gewann ähnlich souverän mit 5,5:2,5 gegen Griesheim, doch das war zu erwarten, da die Hessen nominell deutlich unterlegen waren und sogar ihr Jugendbrett einsetzten.

Alle Partien der 7. Runde können sie im Liveportal nachspielen. Allerdings fehlen die Partien des Kampfes Solingen-Trier, da er nicht live übertragen wurde.

Am 12. und 13. Dezember geht es weiter mit den Kämpfen der 3. und 4. Runde der Schachbundesliga.



Über den Autor

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Georgios Souleidis ist Internationaler Schachmeister und hat in Bochum Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert. Er arbeitet als Journalist, Autor und Schachtrainer. Er schreibt u.a. als Chefredakteur für die Schachbundesliga, für Chessbase, die Zeitschrift SCHACH, SPIEGEL ONLINE oder die Deutsche Presse-Agentur. Falls er mal nicht schreibt, Training gibt oder auf seinem YouTube-Kanal Schach lehrt, versucht er aktiv am Brett zu beweisen, dass 1. e2-e4 der beste Eröffnungszug ist.