In unserem Rückblick auf "40 Jahre Schachbundesliga" lassen wir Timo Sträter zu Wort kommen. Der 55-jährige FIDE-Meister und Bruder des bekannten Kabarettisten Torsten Sträter, spielte jahrelang für den SV Wattenscheid in der Schachbundesliga und schrieb in seiner Kolumne über das Abschneiden seines Klubs. In einer mehrteiligen Reihe wärmt Sträter allerdings keine alten Geschichten auf, sondern lässt seinen Gedanken über das historische und aktuelle Geschehen sprichwörtlich freien Lauf.
Von Timo Sträter
Eine Kamerafahrt über die Themse. Eine behaarte Hand wirft einen riesigen König um. Der Big Ben. Ein Mann reibt sich im Schattenriss den Ziegenbart. Alles untermalt vonherrlich stimmungsvoller Synthie – Mucke. So und nicht anders muss man Schachpräsentieren. Die Rede ist, die älteren Semester werden sich noch erinnern, vom sogenannten Schach – Worldcup, ein vom englischen BBC veranstaltetes und gesponsertes GM–Rundenturnier. Neben den großen Namen dieser Zeit wurden stets auch ein paar Newbies und interessante Gesichter eingeladen, wie z. B. Anno'82 der Afrika – Meister Slim Bouaziz. Der Clou an der Sache: Die Partien wurden im Studio noch einmal nachgestellt, wobei die Akteure ihre Gedankengänge verbal erläutern mussten. Manch einer soll vor den Aufnahmen ein paar Drinks gekippt haben, um sich mental zu lockern. Hätte ich nicht anders gemacht. Denn ob es wirklich eine Freude ist, so eben erlittene Niederlagen noch einmal wortreich zu durchleiden, während ein innerlich grinsender Gegner seine überlegene Spielkunst zelebriert, wage ich zu bezweifeln. Aber Vertrag ist Vertrag. Die Resultate sind jedenfalls eine Schau. Literatur – Professor Robert Byrne erklärt in glasklarem Englisch kenntnisreich und luzide die Vorgänge auf dem Brett – ein Hochgenuss, nicht nur für Freunde der englischen Sprache. Spasski brummte im sonoren Bass, Karpow hingegen schien vom Grund eines sowjetischen Schuhkartons zu sprechen. Der eineo der andere hatte dezent mit der englischen Sprache zu kämpfen, die natürlich obligatorisch war. Aber das war völlig wurst, denn die Message kam an: Schach ist wichtig.
Das Geschehen auf dem Brett machte teilweise so richtig Laune. Ich erinnere mich an ein Finale Karpow – Spasski, in dem letzterer den Weltmeister in einem Endspiel Dame + Springer vs. Dame düpierte. Und sich nachher gemütlich eine ansteckte. „Jetzt erst mal eine Zigarette“! rief ein freudigerregter Helmut Pfleger, während Spasski behaglich schmauchte. Das Finale gewann dann trotzdem Karpow, war ja irgendwie auch klar.
Aber das eigentlich Großartige an dieser Veranstaltung sind nicht unbedingt die schachlichen Inhalte. Nein, es sind diese unverwechselbaren Gesichter, diese Typen. Donner, Byrne, Hort, dernoch fast jugendliche Kortschnoi. Der ganz und gar jugendliche Lobron, nur echt mit ewigglimmender Zigarette, damals war es ja noch erlaubt.
Browne und Schmid und Seirawan und Timman, und wie sie alle hießen: Spieler – Persönlichkeiten, die sich nicht nur durch das Namensschild voneinander unterschieden, die sich teilweise auch politisch positionierten. Als eines der vielen großen und kleinen Schlachtfelder des kalten Krieges war Schach ja selbst Politikum;nicht so brisant wie die Atomraketen, aber bei den Sowjets wurde man auch für weniger erschossen. Hüben wie drüben waren die besten Spieler immer auch Sendboten und Außendienst–Mitarbeiter ihrer Systeme, ob sie wollten oder nicht. Schach war politisches Kampfmittel und damit relevant, punktum. Dass es natürlich völliger Kokolores ist, Sportveranstaltungen mit politischer Bedeutung aufzuladen, ist eine andere Geschichte. Aber die Verhältnisse, die waren damals so.
Der Schachkrieg zwischen den beiden Machtblöcken war lange Zeit eine eher eintönige Angelegenheit. Die Sowjets rasierten alles, was ihnen vor die Flinte kam, gewannen nahezu jedes bedeutende Turnier, stellten alle Weltmeister. Die Gründe dafür sind bekannt: In der Sowjetunion war Schach Chefsache und wurde entsprechend gefördert. Es wurde gesichtet, gesiebt, gespielt und trainiert, dass es eine Art hatte. Schach galt als geeichte Kunst, der führende Meister demgemäß als anerkannter Künstler, der, materiell bestens versorgt, in Ruhe schaffen konnte. Für einen Botwinnik gab es keine Bückware. Toll, was? Einen kleinen Haken hatte die Sache aber schon. Die schachliche Förderung war Teil eines Gesamtpakets, dessen Annahme ich persönlich verweigern würde.
Den unterlegenen Westlern gegenüber verhielten sich die Sowjets lange Zeit wie ein gemütlicher Onkel, der dem minderbegabten Neffen den Kopf tätschelt: Der Junge soll auf die Sonderschule! Ja,wenn er das Zeug dazu hat! Und wenn er mal nicht wollte, wie er sollte, erhöhten leichte Schläge auf den Hinterkopf das Denkvermögen. Was sollten sie auch machen, die westlichen Einzelkämpfer? Ein Mann sollte dies alles ändern, wenn auch nur vorübergehend: Robert James Fischer, genannt Bobby, auf den ich noch zurückkommen werde.
Zum Schluss des ersten Teils möchte ich kurz die Frage erörtern, warum Schach heute nicht mehrso bedeutsam ist. Fehlt es dem Schach an Gesichtern, wie Conrad Schormann auf seiner (hervorragenden) Seite "Perlen vom Bodense" meint? Es ist allgemein bekannt, dass unsere führenden Meister (mit wenigen lobenswerten Ausnahmen) in puncto Selbstvermarktung und -präsentation rechte Schluffen sind. Robert Hübner hatte dergleichen nicht nötig, da ihn das Momentum des kalten Krieges quasi automatisch (und ungewollt) zum Medienstar beförderte. Umheutzutage, wo wir ja alle Freunde sind und freundlich bzw. scheißfreundlich miteinander umgehen;um heutzutage Aufmerksamkeit zu generieren, um Wind unter die Segel zu bekommen, müssten sich unsere jungen, vielversprechenden Meister erheblich stärker in die Riemen legen. Um die Einzelheiten mögen sich Webmaster und Marketingexperten kümmern. Freilich, welchen Erfolg die vielfach verstärkten Anstrengungen hätten, ist eine andere Frage.
Denn es fehlt dem Schach nicht nur an Gesichtern. Es mangelt an guten Geschichten, an griffigen Konflikten und handfesten Skandalen, wie sie der kalte Krieg in Masse produzierte. Der Sport lebtnun einmal von Rivalitäten; nicht die freundschaftliche Umarmung, sondern die Blutgrätsche, nicht der Bruderkuss, sondern der Bodycheck sind das Salz in der Suppe. Wie wir diesen Mangel beheben können, weiß ich auch nicht. Ich möchte mir trotzdem erlauben, in aller Freundschaft einige Vorschläge zu unterbreiten:
1. Deutsche Spieler und Spielerinnen erringen große Erfolge, Stoßrichtung Kandidatenturnier aufwärts. Antreten in maßgeschneiderten Uniformen mit Elo-Kragenspiegel, dazu passend auf Hochglanz (!) gewienerte Knobelbecher und Dienstpistole. Betont schneidiges Auftreten (ham Sejedient?) zwingender Händedruck, sparsame Gesten. Der DSB beschafft sich unter der Hand strategische Atomwaffen, die er bei Verhandlungen mit der FIDE beiläufig ins Gespräch bringt (As im Ärmel ). Das sorgt für Ärger, wetten?
2. Man verstärkt die Präsenz in den modernen Medien, spricht bei Industrie, Wirtschaft, Kulturbüros und nicht zuletzt dem Fernsehen vor, und lässt sich auch durch mehrfaches bzw. vielfaches Abwinken nicht entmutigen. Denn neben den oben geschilderten hat das Schach noch vier weitere Probleme. Sie heißen Geld, Kohle, Zaster und Marie. Mit aller Kraft müssten wir daran arbeiten, dass unser Schach endlich reguläre Karrieren anzubieten hätte; dass der traditionelle Einzelkämpfer (m/w/d) einen starken Verband in seinem Rücken weiß, der ihm mit Rat und Tat zur Seite steht, auch und gerade wenn es eines Tages mal nicht mehr so läuft. Eine Art Sozialismus light also, plus Eigenverantwortung und für Fortgeschrittene, möglichst ohne bürokratisch deformierte Zwangscharaktere, aber durchaus mit Beimischungen von Zuckerbrot und Peitsche. Ob dieses Utopia jemals Wirklichkeit werden kann, weiß nur Gott allein. Im Zweifelsfall wenden Sie sich bitte an das PIK in Potsdam.
wird fortgesetzt...