Weisheiten im Endspiel

Erstellt am: 17.04.2015
Großmeister Karsten Müller präsentiert in seiner Kolumne auf anschauliche Weise drei Endspiele aus der 14. Runde der Schachbundesliga. Wir bieten die lehrreichen Analysen auch als pgn zum Herunterladen an.

Springerjagd

Bacrot,Etienne (2706) - Kempinski,Robert (2653)
SBL 1415 OSG Baden Baden - Hamburger SK (14), 11.04.2015


Stellung nach 60.a5:

Bei einem Duell auf beiden Flügeln ist der Springer oft zu langsam: 60...Sd3? Turm und Springer werden mit den weißen Freibauern nicht fertig. Die Rettung lag im Übergang ins Turmendspiel mittels 60...Txb5+! denn nach 61.Kxf4 Tc5

Analysediagramm Bacrot-Kempinski


ist eine Version der Vancura Remisstellung entstanden. Der schwarze Turm verhindert die Aktivierung des weißen Turmes, weil der weiße König kein Versteck am Damenflügel finden kann, z.B. 62.Ke4 Tb5 63.Kd4 (63.a6 Tb6 64.Ta8+ Kh7 65.a7 Ta6=) 63...Tf5 64.a6 Tf6 65.Ke5 Tb6 66.Kd5 Tf6 67.Kc5 Tf5+ 68.Kb6 Tf6+ 69.Kb7 Tf7+= 61.Ta8+ Kh7 62.Ta7+ Kh8 63.b6 Sc5 63...Tb5+ hilft angesichts von 64.Kf6 (64.Kg6? Se5+ 65.Kf6 Sc6=) 64...Se5 65.b7 Sc6 66.Ta8+ Kh7 67.Tc8 auch nicht: 67...Txb7 68.Txc6 Kxh6 69.a6 Ta7 70.Ke5+ Kg7 71.Kd6 Kf8 72.Tc8+ Kf7 73.Tc7++- 64.Ta8+ Kh7 65.Ta7+ Kh8 66.Kg6 Tg4+ 67.Kf5 Tb4 68.Ke5

68...Sb3 Das trickreiche 68...Sa4!? war einen Versuch wert: 69.Ta6!! (69.b7? scheitert an 69...Sc5 70.Kd5 Sxb7 71.a6 Sd6 72.Kxd6 Tb6+ 73.Kc7 Tf6!= und Schwarz hat eine Version der Vancurastellung eingenommen.) 69...Tb1 70.Kd6 Td1+ 71.Kc6 Tc1+ 72.Kb5 Sc3+ 73.Kc4 Sa4+ 74.Kb4 Sc5 75.Ta7 Sd3+ 76.Kb5 Tb1+ 77.Kc6 Tc1+ 78.Kd6 Td1 79.b7 Sb4+ 80.Kc5 Sd3+ 81.Kc6 Se5+ 82.Kc7 Sd7 83.Ta8+ Kh7 84.Td8+- 69.Kd5 Sxa5 69...Td4+ 70.Kc6 Tc4+ 71.Kb5 Tc1 72.Tc7 Sd4+ 73.Ka6 Tb1 74.b7+- 70.Kc5 Txb6 71.Kxb6 Sc4+ 71...Sb3 72.Td7 Sc1 73.Kc6 Se2 74.Kd6 Sg3 75.Ke5+- 72.Kc5 Se3 73.Kd6 Sf5+ 74.Ke6 Sxh6

Normalerweise hält der Springer gegen den Turm remis, wenn er zu seinem König gelangen kann. Hier liegt jedoch wegen der Eckstellung des Königs eine Ausnahme vor: 75.Kf6 Sg4+ 75...Kg8 76.Kg6+- 76.Kf5 76.Kf5 Se3+ (76...Sh6+ 77.Kg6 Sg8 78.Th7#) 77.Kg6 Sg4 78.Ta8# 1-0

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Mattüberfall

Trent,Lawrence (2476) - Wirig,Anthony (2490)
SBL 1415 Schwäbisch Hall - SF Katernberg (14), 11.04.2015


Stellung nach 37...d4:

Doppelturmendspiele unterscheiden sich von einfachen Turmendspielen in einer Reihe von Faktoren: 1) Mattangriffe sind öfter möglich 2) Ein Mehrbauer bietet bessere Gewinnchancen, wenn er den eigenen König schützt 3) Sie haben etwas mehr "Mittelspielcharakter" als die meist technischen einfachen Turmendspiele 4) Isolierte Bauern sind noch schwächer als im einfachen Turmendspiel, weil beide Türme durch Deckungsaufgaben nun passiv werden können Im vorliegenden Fall muss Weiß trotz seines weit vorgerückten a-Freibauern sehr vorsichtig sein: 38.a7? Danach kommt der schwarze Angriff zuerst. 38.Td7! verlangsamt den Vorstoß der schwarzen Bauern und die schwarzen Kräfte können zwar ein Remis erzwingen, aber nicht mehr, z. B. 38...Thxf2+ 39.Ke1 Tf1+ 40.Kd2 e5 41.a7 e4 42.Txd4 (42.a8D?? T3f2#) 42...e3+

Der e-Bauer ist rechtzeitig eingetroffen, um ausreichendes Gegenspiel zu sichern: 43.Kd3 [43.Ke2 T1f2+ 44.Kd1 (44.Kd3? ginge wegen 44...e2+ 45.Kd2 Te3 sogar ganz nach hinten los: 46.Txg4+ Kh6 47.Ta6+ Kh5 48.Th4+ Kg5 49.Ta5+ f5-+) 44...Tf1+ 45.Ke2 T1f2+=) 43...Td1+ 44.Kc4 Txd4+ 45.Kxd4 e2 46.Ta1 Tf1 47.a8D Td1+ 48.Kc4 e1D 49.Txd1 Dxd1 50.De4=] 38...d3+! Der Bauer leiht den Türmen seine helfende Hand. 39.Kd2 39.cxd3 Thxf2+ 40.Ke1 Txa2-+; 39.Ke1 Tfxf2 40.a8D Te2+ 41.Kd1 Th1# 39...Thxf2+ 39...Thxf2+ 40.Kc3 (40.Kc1 d2+ 41.Kd1 Te3-+; 40.Kd1 Th2-+) 40...dxc2+ 41.Kb2 c1D+ 42.Kxc1 Txa2-+ 0-1

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Das Zwischenschach In Damenendspielen

Bobras,Piotr (2539) - Ragger,Markus (2664)
SBL 1415 SG Solingen - SG Trier (14), 11.04.2015


Stellung nach 45.Db2:

Das Zwischenschach In Damenendspielen ist das eine typische Technik: 45...De4+! Dieses Zwischenschach ist am besten, denn 45...Db1? 46.Da3+ Kb7 47.Df3+ und 45...Dxg6? 46.Dxa2+ geben Weiß noch praktische Remischancen. 46.Kh5 46.Kh3 De6+ 47.Kh4 De1+ 48.Kh5 a1D-+ 46...De5+! Ragger forciert ein neues Damenendspiel, in dem er allerdings Damentausch erneut erzwingen kann. 47.Dxe5 dxe5 48.g7 a1D 49.g8D Dd1+ 50.Kh4 50.Kh6 Dd2+ 51.Kg7 Dg5+ 52.Kf8 Dxg8+ 53.Kxg8 e4-+ 50...De1+ 51.Kh3 Auf 51.Kh5 folgt das Zwischenschach 51...De2+-+ nebst Damentausch. 51...Df1+

51...Df1+ 52.Kh4 Dc4+ 53.Dg4 (53.Dxc4 bxc4-+) 53...Dxg4+ 54.Kxg4 b4-+ 0-1

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weisheiten_im_endspiel_15-04-2015.pgn

Karsten Müller (Hamburger SK)

Dr. Karsten Müller ist ein bekannter Schachbuch-Autor und Kolumnist. In der Schachbundesliga spielt er für den Hamburger SK. Für die Webseite der SBL präsentiert er in loser Folge lehrreiche Endspiele.

Partie(n) zum Nachspielen: 
[Event "SBL 1415 OSG Baden Baden - Hamburger SK"]
[Site "?"]
[Date "2015.04.11"]
[Round "14"]
[White "Bacrot, Etienne"]
[Black "Kempinski, Robert"]
[Result "1-0"]
[WhiteElo "2706"]
[BlackElo "2653"]
[SetUp "1"]
[FEN "7k/R7/7P/1P4K1/Pr3n2/8/8/8 w - - 0 60"]
[PlyCount "33"]
[EventDate "2015.??.??"]

60. a5 {Springerjagd Bei einem Duell auf beiden Flügeln ist der Springer oft
zu langsam:} Nd3 $2 {Turm und Springer werden mit den weißen Freibauern nicht
fertig. Die Rettung lag im Übergang ins Turmendspiel mittels} (60... Rxb5+ $1
{denn nach} 61. Kxf4 Rc5 {[%csl Gh7,Gh8][%cal Gc5a5] ist eine Version der
Vancura Remisstellung entstanden. Der schwarze Turm verhindert die Aktivierung
des weißen Turmes, weil der weiße König kein Versteck am Damenflügel
finden kann, z.B.} 62. Ke4 Rb5 63. Kd4 (63. a6 Rb6 64. Ra8+ Kh7 65. a7 Ra6 $11)
63... Rf5 64. a6 Rf6 65. Ke5 Rb6 66. Kd5 Rf6 67. Kc5 Rf5+ 68. Kb6 Rf6+ 69. Kb7
Rf7+ $11) 61. Ra8+ Kh7 62. Ra7+ Kh8 63. b6 Nc5 (63... Rb5+ {hilft angesichts
von} 64. Kf6 (64. Kg6 $2 Ne5+ 65. Kf6 Nc6 $11) 64... Ne5 65. b7 Nc6 66. Ra8+
Kh7 67. Rc8 {auch nicht:} Rxb7 68. Rxc6 Kxh6 69. a6 Ra7 70. Ke5+ Kg7 71. Kd6
Kf8 72. Rc8+ Kf7 73. Rc7+ $18) 64. Ra8+ Kh7 65. Ra7+ Kh8 66. Kg6 Rg4+ 67. Kf5
Rb4 68. Ke5 Nb3 ({Das trickreiche} 68... Na4 $5 {war einen Versuch wert:} 69.
Ra6 $3 (69. b7 $2 {scheitert an} Nc5 70. Kd5 Nxb7 71. a6 Nd6 72. Kxd6 Rb6+ 73.
Kc7 Rf6 $1 $11 {und Schwarz hat eine Version der Vancurastellung eingenommen.})
69... Rb1 70. Kd6 Rd1+ 71. Kc6 Rc1+ 72. Kb5 Nc3+ 73. Kc4 Na4+ 74. Kb4 Nc5 75.
Ra7 Nd3+ 76. Kb5 Rb1+ 77. Kc6 Rc1+ 78. Kd6 Rd1 79. b7 Nb4+ 80. Kc5 Nd3+ 81. Kc6
Ne5+ 82. Kc7 Nd7 83. Ra8+ Kh7 84. Rd8 $18) 69. Kd5 Nxa5 (69... Rd4+ 70. Kc6
Rc4+ 71. Kb5 Rc1 72. Rc7 Nd4+ 73. Ka6 Rb1 74. b7 $18) 70. Kc5 Rxb6 71. Kxb6
Nc4+ (71... Nb3 72. Rd7 Nc1 73. Kc6 Ne2 74. Kd6 Ng3 75. Ke5 $18) 72. Kc5 Ne3
73. Kd6 Nf5+ 74. Ke6 Nxh6 {Normalerweise hält der Springer gegen den Turm
remis, wenn er zu seinem König gelangen kann. Hier liegt jedoch wegen der
Eckstellung des Königs eine Ausnahme vor:} 75. Kf6 Ng4+ (75... Kg8 76. Kg6 $18
{[%cal Ga7a8,Gg6h6]}) 76. Kf5 (76. Kf5 Ne3+ (76... Nh6+ 77. Kg6 Ng8 78. Rh7#)
77. Kg6 Ng4 78. Ra8#) 1-0

[Event "BL 1415 Schwäbisch Hall - SF Katernberg"]
[Site "?"]
[Date "2015.04.11"]
[Round "14"]
[White "Trent, Lawrence"]
[Black "Wirig, Anthony"]
[Result "0-1"]
[WhiteElo "2476"]
[BlackElo "2490"]
[SetUp "1"]
[FEN "8/1R3pk1/P3p3/3p4/6p1/5rP1/R1P1KP1r/8 b - - 0 37"]
[PlyCount "5"]
[EventDate "2015.??.??"]

37... d4 {Mattüberfall Doppelturmendspiele unterscheiden sich von einfachen
Turmendspielen in einer Reihe von Faktoren: 1) Mattangriffe sind öfter
möglich 2) Ein Mehrbauer bietet bessere Gewinnchancen, wenn er den eigenen
König schützt 3) Sie haben etwas mehr "Mittelspielcharakter" als die meist
technischen einfachen Turmendspiele 4) Isolierte Bauern sind noch schwächer
als im einfachen Turmendspiel, weil beide Türme durch Deckungsaufgaben nun
passiv werden können Im vorliegenden Fall muss Weiß trotz seines weit
vorgerückten a-Freibauern sehr vorsichtig sein:[#]} 38. a7 $2 {Danach kommt
der schwarze Angriff zuerst.} (38. Rd7 $1 {verlangsamt den Vorstoß der
schwarzen Bauern und die schwarzen Kräfte können zwar ein Remis erzwingen,
aber nicht mehr, z. B.} Rhxf2+ 39. Ke1 Rf1+ 40. Kd2 e5 41. a7 e4 42. Rxd4 (42.
a8=Q $4 R3f2#) 42... e3+ {Der e-Bauer ist rechtzeitig eingetroffen, um
ausreichendes Gegenspiel zu sichern:} 43. Kd3 (43. Ke2 R1f2+ 44. Kd1 (44. Kd3
$2 {ginge wegen} e2+ 45. Kd2 Re3 {sogar ganz nach hinten los:} 46. Rxg4+ Kh6
47. Ra6+ Kh5 48. Rh4+ Kg5 49. Ra5+ f5 $19) 44... Rf1+ 45. Ke2 R1f2+ $11) 43...
Rd1+ 44. Kc4 Rxd4+ 45. Kxd4 e2 46. Ra1 Rf1 47. a8=Q Rd1+ 48. Kc4 e1=Q 49. Rxd1
Qxd1 50. Qe4 $11) 38... d3+ $1 {Der Bauer leiht den Türmen seine helfende
Hand.} 39. Kd2 (39. cxd3 Rhxf2+ 40. Ke1 Rxa2 $19) (39. Ke1 Rfxf2 40. a8=Q Re2+
41. Kd1 Rh1#) 39... Rhxf2+ (39... Rhxf2+ 40. Kc3 (40. Kc1 d2+ 41. Kd1 Re3 $19 {
[%cal Ge3e1]}) (40. Kd1 Rh2 $19 {[%cal Gf3f1]}) 40... dxc2+ 41. Kb2 c1=Q+ 42.
Kxc1 Rxa2 $19) 0-1

[Event "SBL 1415 SG Solingen - SG Trier"]
[Site "?"]
[Date "2015.04.11"]
[Round "14"]
[White "Bobras, Piotr"]
[Black "Ragger, Markus"]
[Result "0-1"]
[WhiteElo "2539"]
[BlackElo "2664"]
[SetUp "1"]
[FEN "8/8/k2p2P1/1p6/1Q5K/3q4/p6P/8 w - - 0 45"]
[PlyCount "14"]
[EventDate "2015.??.??"]

45. Qb2 {Das Zwischenschach In Damenendspielen ist das eine typische Technik:}
Qe4+ $1 {Dieses Zwischenschach ist am besten, denn} (45... Qb1 $2 46. Qa3+ Kb7
47. Qf3+ {und}) (45... Qxg6 $2 46. Qxa2+ {geben Weiß noch praktische
Remischancen.}) 46. Kh5 (46. Kh3 Qe6+ 47. Kh4 Qe1+ 48. Kh5 a1=Q $19) 46... Qe5+
$1 {Ragger forciert ein neues Damenendspiel, in dem er allerdings Damentausch
erneut erzwingen kann.} 47. Qxe5 dxe5 48. g7 a1=Q 49. g8=Q Qd1+ 50. Kh4 (50.
Kh6 Qd2+ 51. Kg7 Qg5+ 52. Kf8 Qxg8+ 53. Kxg8 e4 $19) 50... Qe1+ 51. Kh3 ({Auf} 
51. Kh5 {folgt das Zwischenschach} Qe2+ $19 {nebst Damentausch.}) 51... Qf1+ (
51... Qf1+ 52. Kh4 Qc4+ 53. Qg4 (53. Qxc4 bxc4 $19 {[%cal Gc4f1,Gc4f4,Gf4f1,
Gc4c1,Gc1f1]}) 53... Qxg4+ 54. Kxg4 b4 $19 {[%cal Gb4e4,Ge4e1,Gb4e1,Gb4b1,
Gb1e1]}) 0-1

Über den Autor

Bild des Benutzers Dr. Karsten Müller

GM Dr. Karsten Müller wurde am 23. November 1970 in Hamburg geboren. Er studierte Mathematik und graduierte 2002. Seit 1988 spielt Müller für den Hamburger SK in der Bundesliga und errang den Großmeister-Titel 1998. Zusammen mit Frank Lamprecht ist er Autor der hochgeschätzten Werke Secrets of Pawn Endings (2000) und Fundamental Chess Endings (2001), mit Martin Voigt Danish Dynamite (2003), mit Wolfgang Pajeken How to Play Chess Endgames (2008), mit Raymund Stolze Kämpfen und Siegen mit Hikaru Nakamura (2012) and schließlich zwischen 2004 und 2012 Autor der Chess (Cafe) Puzzle Books 1-4 (3 mit Merijn van Delft, 4 mit Alex Markgraf), kürzlich mit Stefan Becker Ask the Pieces (2013), eine fritztrainer/chess coaching DVD. Aufmerksamkeit fand Müllers Buch Bobby Fischer, The Career and Complete Games of the American World Chess Champion (2009), besonders auch seine exzellente Serie von ChessBase-Endspiel-DVDs Schachendspiele 1-14. Der viel beschäftigte, weltweit anerkannte Endspiel-Experte wurde 2007 als "Trainer des Jahres" vom Deutschen Schachbund ausgezeichnet.