Wissen Sie, was mir seit einiger Zeit fürchterlich auf den Keks geht? Ich sag es Ihnen: Diese Selbstgefälligkeit selbsternannter Schachexperten und Hobbyjournalisten!
Neulich war ich ja in Berlin. Ich wollte mir auf gar keinen Fall die zentrale Runde der Schachbundesliga entgehen lassen. Daneben hatte ich vor Ort auch die eine oder andere Aufgabe; aber darüber reden wir vielleicht später noch einmal.
Jedenfalls schlendere ich vor Rundenbeginn in den Turniersaal und bekomme mit, wie eine mir völlig unbekannte Person wild gestikulierend mit einem profunden Schachmanager diskutiert. Ich gebe ja zu, dass es unhöflich ist, fremde Gespräche zu belauschen, doch ich schwöre, dass diese engagierte Aussprache kaum zu überhören war.
Worum ging’s?
Der Mann beschwerte sich darüber, dass ein noch blutjunger deutscher Schachspieler, der in letzter Zeit mit großartigen Turnierleistungen von sich Reden gemacht hatte, plötzlich so schlecht spiele. Er habe mit Hilfe einer leistungsstarken Computer-Engine ermittelt, dass der junge Mann viele Fehler mache. Daher sei es an der Zeit, den Coach auszuwechseln und die Trainingsfrequenz zu erhöhen, um den jugendlichen Spieler wieder auf den Pfad der Tugend zurück zu holen.
Fall Nr. 2. Ich lese vor einiger Zeit im Internet einen Artikel, in dem über die Turnierergebnisse einer bekannten deutschen Schachmeisterin lamentiert wird. Naja, eigentlich ist das die falsche Diktion. Eigentlich schwang sich der Autor, dessen schachliche Qualität für mich auch nach einer intensiven Namensrecherche kaum einschätzbar war, zum Richter auf und erläuterte in epischer Breite seine harsche Kritik über ein vermeintliches Versagen dieser Spielerin. Ich kann hier nur mutmaßen, dass diese Erkenntnis ebenfalls einer maschinenunterstützten Analyse entstammte. Jedenfalls strahlte dieser Artikel eine aggressive Hybris aus, die ich nicht nachvollziehen konnte.
Wenn ich so etwas höre oder lese, kann ich gar nicht so viel essen wie ich kotzen möchte.
- Glauben diese Kritiker, die vielleicht gerade etwas mehr als Grundkenntnisse haben, wirklich, dass sie der Besitz einer hochklassigen Schachmaschine dazu befähigt, sich ein Urteil über die Qualitäten eines Schachspielers oder einer Schachspielerin bilden zu können? Ich habe jedenfalls selbst bei vielleicht enttäuschenden Partie- oder Turnierergebnissen einen ungebrochenen Respekt vor unseren Spitzenspielern, weil ich weiß, wie komplex Schach ist und auf welch hohem Niveau man sich bewegen muss, um bis zur Weltspitze zu gelangen und sich dort dann auch zu halten.
- Wie gehen wir eigentlich mit unseren Leistungsträgern um? Wie ich das sehe, sind selbst Spitzenspieler auch nur Menschen. Sie haben – zugegeben – ein besonders Talent. Daneben sind sie aber Leute wie Du und ich; jedenfalls habe ich diese Erfahrung gemacht. Von daher finde ich es völlig daneben, den menschlichen Faktor bei der Beurteilung von Partie- oder Turnierergebnissen auszublenden und eine eventuelle Formkrise nur auf schachliche Aspekte zu reduzieren. Jedenfalls sind selbst Schachweltmeister keine gefühllosen Rechenmaschinen. Konzentrieren Sie sich mal auf eine Schachpartie, wenn Sie mit den Gedanken vielleicht ganz wo anders sind oder sie sonstige Probleme haben!
- Ich vermisse ein wenig, dass sich unsere Schachfunktionäre bei solchen Angriffen nicht deutlicher vor ihre Protagonisten stellen. Gut, auch da gibt es Ausnahmen, die sich klar positionieren. Aber ansonsten ist die Erwartungshaltung, dass unsere männlichen und weiblichen Spitzenspieler gefälligst Medaillen zu sammeln haben. Dann werden Schultern geklopft. Wenn es jedoch nicht so klappt oder es kritisch wird, wie jüngst im Damenteam, hält man sich vornehm im Hintergrund. Dabei wäre es doch gerade dann an der Zeit, Unterstützung zu geben und Wertschätzung zu zeigen. Teambildung geht jedenfalls anders.
- Apropos Wertschätzung: Vor einiger Zeit bin ich im Internet auf eine russische Schachseite gestoßen, die anlässlich des Geburtstages einer deutschen Spitzenspielerin ein kleines Essay verfasst hatte. So etwas würde ich mir auch von dem einen oder anderen deutschen Schachblog wünschen; ganz zu schweigen von offiziellen Verbandsseiten, die offenbar nur Altersjubilare oder tote Schachmeister feiern.
- Da wir gerade über das Frauenschach reden. Die zentrale Abschlussrunde in Berlin hat wieder einmal bewiesen, auf welch hohem Niveau in der Frauenbundesliga gespielt wird. Es wird Zeit, dies auch anzuerkennen. Wer die Frauenteams heute noch nur als schmückendes Beiwerk betrachtet, disqualifiziert sich selbst. Die Schachverbände und –funktionäre sollten dem Frauenschach deshalb größere Aufmerksamkeit schenken. Die Frauen hätten es mehr als verdient. Dies gilt im Übrigen auch für die Sicherstellung professioneller Betreuung und Trainingsbedingungen für das Frauen-Nationalteam, die dem Vernehmen nach immer verbesserungsfähig zu sein scheinen.
Wollte ich nur mal gesagt haben.