Der SK Schwäbisch Hall zieht seine Mannschaft aus der SBL zurück. Frank Zeller, einer der Spieler, blickt auf die letzten Runden in Berlin zurück und erläutert den Rückzug aus seiner Sicht.
Von Frank Zeller
Zentrale Endrunde in Berlin vor toller Kulisse – für jedes Bundesligateam wohl der Höhepunkt der Saison, auch für Schwäbisch Hall. Zugleich bedeutete diese für den Südverein auch einen wehmütiger Abschied von der großen Bühne der höchsten Deutschen Liga: kurz vor der Schlussrunde annoncierte die Vereinsführung die Abmeldung der 1. Mannschaft.
Das kam überraschend, war indes hinsichtlich der Fairness der richtige Schritt, ging es doch für einige Teams in Berlin um den Klassenerhalt. Nun war klar, dass auch der 13. Tabellenplatz ausreichend für den Verbleib im Oberhaus sein würde. Die Haller Mannschaftsleitung setzte die Schachbundesliga e.V. sowie alle anderen Mannschaften von diesem wichtigen Schritt in Kenntnis.
Auf den einschlägigen Internetseiten wurde die Neuentwicklung allerdings erst nach Beendigung der drei Berliner Runden und dem Abschluss der Saison publik gemacht; bei Chessbase etwa kam die Nachricht noch gar nicht an – dort werden immer noch die Plätze 13 bis 16 als Absteiger gehandelt. Als Pressesprecher des Vereins wurde ich seitens der Vorstandschaft nicht gerade zu einem offiziellen Statement angehalten, und wenn, dann sollte es kurz und lapidar ausfallen mit dem Hinweis auf einen „Rückzug der Sponsoren“.
Vier Jahre mischte der Verein aus Nordwürttemberg in der Bundesliga mit und sorgte schon in ihrer ersten Saison als Nobody für Furore: Hall landete sogleich auf dem 4. Platz und hätte beinahe Dauermeister Baden-Baden geschlagen. Schwäbisch Hall machte Schlagzeilen, das Team schien unverbraucht und brachte frischen Wind in die Liga!
Dieser Auftakterfolg wurde in der zweiten und auch noch in der dritten Saison bestätigt. Dreimal Platz 4, das liest sich nicht schlecht. In der gerade beendeten Saison war Hall ebenfalls aller Abstiegssorgen ledig und siedelte sich im oberen Mittelfeld an. Die Vorstellungen waren nicht mehr ganz so imposant, auch war zu spüren, dass die Vereinsführung bereits auf Sparflamme kochte: Weltklassespieler wie Li Chao, der zuvor noch die Bundesliga rockte, kamen nur sporadisch zum Einsatz. Vermehrt wurde auf die „regionalen“ Kräfte aus Deutschland, Tschechien und Frankreich gesetzt, die bereits seit Jahren zum Stamm des Teams gehörten und an den mehrfachen Aufstiegen in Folge beteiligt waren.
Dennoch kam die nun erfolgte drastische Reaktion überraschend. Hall wird sich aus der Bundesliga zurückziehen, die Mannschaft wird komplett abgemeldet, so dass die jetzige 2. Mannschaft die Rolle der Ersten übernehmen wird, und die ist eben aus der Landesliga abgestiegen! Also ein sportlicher Totalzusammenbruch. Der Verein steht plötzlich wieder da, wo er vor einem knappen Jahrzehnt stand.
Präsident Michael Riedel begründet den gravierenden Schritt mit dem Wegfall der Sponsoren. Das ist durchaus richtig, wenngleich nicht „die ganze Wahrheit“. Doch die ist, falls es sie überhaupt gibt, unmöglich auf einen Nenner zu bringen. Das Team war von Privatsponsoren abhängig. Mehrfache Versuche, Sponsoren aus der Wirtschaft langfristig an den Verein zu binden, scheiterten. Intern sorgte die Konkurrenz mit dem erfolgreichen Damenteam schon seit geraumer Zeit zu schwelenden Konflikten, die sich nicht mehr lösen ließen. Nun droht der Rücktritt der gesamten Vorstandschaft, der Verein wird einen kompletten Neuanfang starten müssen.
Georgios Souleidis machte den freiwilligen Rückzug in seinem Abschlussartikel über das Berlin-Wochenende publik. Er wies auch richtig auf die „Blockbindungen“ innerhalb des Vereins hin, die zu Verhärtungen führten, und verlinkte Statements zweier „Frauenbeauftragter“, Thomas Marschner und Mario Meinel. Das führt m.E. zu einer Verzerrung der Wahrnehmung, denn die Berichte der „Frauenpartei“ sind subjektiv eingefärbt. Spätestens dann fühlte ich mich in die Pflicht gerufen, einen Versuch des „Zurechtrückens“ zu unternehmen.
Auch ich kann mich nur um Objektivität bemühen, viele Interna blieben mir sicher verborgen, da ich nicht vor Ort lebe, und sie gehören auch nicht hierher. Letztlich haben sich beide Parteiungen bei dem seit nun schon längerer Zeit gärenden Konflikt mit Ruhm nicht gerade bekleckert. Wie bei einer zu Bruch gehenden Partnerschaft wurde ein „Rosenkrieg“ losgetreten. Es ist sehr bedauerlich, dass eine Erfolgsgeschichte zu solch einem Ende führt, bei dem die Gräben so tief sind, dass anscheinend keine Einigung mehr möglich ist.
Zu Beginn meines Engagements in Hall vor fünf Jahren herrschte noch begeisternde Aufbruchsstimmung, die Basis stand hinter dem Projekt. Nach den Heimspielen ging man geschlossen essen und feiern. Doch von Jahr zu Jahr wurde der Kreis kleiner, gab es Eigeninteressen und Splitterungen, und als keine Sponsoren gewonnen werden konnte, entbrannte der Streit um die Verteilung der Mittel.
Im letzten Jahr war der Krieg offen entbrannt. Das Ganze glich einer Farce, die das neutrale Vereinsmitglied nicht mehr nachvollziehen konnte. Und weil die irritierte Vereinsbasis nicht mehr hinter ihm stand, ist Vorstand Riedel, selbst einer der wichtigsten privaten Geldgeber, letztlich gescheitert beim Versuch, auf einer außerordentlichen Hauptversammlung eine Kampfabstimmung zu gewinnen.
Für den Vorstand wurde diese Entscheidung zum „Entweder-Oder“: entweder man ist für ihn und unterstützt seinen Kurs, oder man ist gegen ihn. Diese Hochstilisierung zu „Alles oder Nichts“ war fatal. Die Vereinsmitglieder verstanden nicht, dass die Vorstandschaft ihr Schicksal an diese Abstimmung hing. Die Basis wollte Versöhnung der Streithähne, doch das Kind war schon lange in den Brunnen gefallen.
Genug! Ich denke, dass (leider) viele Vereine immer wieder unter solchen Zwistigkeiten laborieren – es „menschelt“ halt allerorten, Hall ist somit keine Ausnahmeerscheinung.
Doch kommen wir zum Schach: hier möchte ich mich jedenfalls bei den Verantwortlichen des (Herren-!) Bundesligateams bedanken, die mir vier tolle Jahre Bundesliga mit vielen herausragenden Erlebnissen ermöglichten! Danke für Euer großes zeitliches wie finanzielles Engagement!
Großartig waren etwa der Sieg damals in Meißen gegen Solingen, dem amtierenden Meister. Oder das Heimspiel mit Karpow und anderen Stars zu Gast. Und nicht zu vergessen die beiden zentralen Endrunden in Berlin in einem fantastisches Ambiente im Hotel Maritim nahe des Sony-Centers!
In den drei Schlussrunden warteten mit Solingen, Deizisau und Aachen drei starke Gegner auf uns, und unterm Strich kam es nicht unerwartet, dass alle drei Begegnungen verloren gingen. Vor allem die Solinger mit Meisterschaftsambitionen waren für unsere bescheidene Belegschaft mehrere Nummern zu groß. Nur Spitzenspieler Ernesto Inarkiev konnte mit der Elitetruppe mithalten und einen halben Achtungspunkt erbeuten. Sehen Sie, wie Richard Rapport unseren Topscorer Viktor Laznicka (ausgezeichnete 10,5 aus 15!) schwindlig wirbelte:
Laznicka,Viktor (2654) - Rapport,Richard (2686)
Bundesliga 2017-18 Berlin (13), 29.04.2018
Stellung nach 15.Sc3:
15...Th5 16.f4 Sc5 17.b4 e5 18.Sf3 Scd7 19.Dd2 exf4 20.exf4 b5!? 21.Lb3 a5 22.a3 Sg4 23.Se2 Sdf6 24.h3 Se4 25.Dd7 Lxb2 26.hxg4 Da7+ 27.Sed4
27...Sf6 28.Dd6 Lxf3 29.gxh5 Se4
30.Dd5 Dxd4+ 31.Dxd4 Lxd4+ 32.Kh2 Lxh5 33.Tfe1 Sf2 34.Tc7 axb4 35.axb4 g5 36.Td7 Lc3 37.Tf1 Sg4+ 38.Kg3 Sf6 39.Tb7 Le2 40.Tc1 Ld2 0-1
Und dann spielte auch noch Van Wely einen Angriff wie aus einer anderen (Computer-)Galaxie:
Michalik,Peter (2546) - Van Wely,Loek (2663)
Bundesliga 2017-18 Berlin (13), 29.04.2018
Stellung nach 16.Sb3:
16...Sg4!?!? Weder ich als Mensch noch irgendeine Engine sehen, wie Van Wely nach 17.hxg4 hxg4 18.g3 den Angriff fortsetzen möchte. Es ist die Magie, die einst Tal verströmte. Ich war während des Mannschaftskampfes mit meiner eigenen Partie beschäftigt, und bei meiner kurzen Nachfrage antwortete mein Teamkamerad Peter, er habe gespielt wie ein Kind, und er hätte gegen den Angriffsspieler Van Wely nie diese Variante spielen dürfen! Im Interview gab Van Wely selbstsicher zu Protokoll: "typisch Computer. Sie erkennen das Matt nicht. Du musst noch ein paar Züge eingeben, dann wandelt sich die Bewertung plötzlich von plus 1 oder 2 a uf minus 50!" Für mich bleibt das Ganze ein Rätsel...
17.d5 Dh4 18.Lxg4 Lxg4!? Wieder so ein Tal-Opfer. Ich ging beim Nachspielen der Partie davon aus, dass irgendwie die Züge falsch eingegeben wurden. 19.Se2
19...Sg5!?!? Es wird immer mysteriöser. 20.Tf1 Sf3+ 21.Txf3 Offenbar war Michalik wild entschlossen, kein Opferangebot seines Gegners anzunehmen. Nach 21.gxf3 exf3 22.Sed4 hat Schwarz mindestens Dauerschach, aber mehr ist immer noch fraglich. 21...exf3 0-1
Selten eine Partie gesehen, in der der Verteidiger derart unter Schockstarre litt wie das Kaninchen vor der Schlange. Dabei kenne ich Peter Michalik durchaus als unerschrockenen Großmeister!
Das zweite Match gegen Deizisau wurde eine enge Kiste, auch wenn wir von Beginn an unter Druck standen. Michalik hatte offenbar ein schlechtes Wochenende erwischt, und bald lagen wir hinten. Doch dann schlug die große Stunde von Viktor: er zerlegte Nationalspieler Matthias Blübaum mit (korrektem) Angriffsspiel:
Bluebaum,Matthias (2643) - Laznicka,Viktor (2654)
Bundesliga 2017-18 Berlin (14), 30.04.2018
Stellung nach 29.Txc6:
29...Sxg3! Nicht unbedingt notwendig, aber ein korrektes Opfer, das die weiße Königsstellung bloßlegt und somit ursächlich die spätere Niederlage besiegelt. 30.Dh3 Denn 31.fxg3 Txe3 gibt dem Schwarzen riesigen Angriff. 30...Txc6 31.Txc6 Sge4 32.f3 Sg5 33.Df5 Se6 34.Lc1 Lb8 35.Lb5 g6 36.Dc2 Kg7 37.Sd2 Sh5
Die schwarze Kavallerie galoppiert zur Matthatz herbei. 38.Sf1 Dg5+ 39.Kf2 Dh4+ 40.Kg1 Sg5 41.Dg2 Sh3+ 42.Kh1
Hat Schwarz mehr als Dauerschach, fragte ich mich als Zuschauer. Jawohl: 42...Lg3 Droht nun …S3-f4+ mit Damengewinn. 43.Sh2 Lxh2 44.Dxh2 De1+ 45.Kg2 Df2+ 0-1
Die Hoffnungen auf ein 4:4 nährten sich, nachdem Inarkiev wiederum ein Remis aus schwieriger Position heraus gegen Peter Leko hielt, und dann auch noch Alexander Raykhman trotz Minusbauer erfolgreich gegen Vincent Keymer verteidigte.Doch Selbiges gelang unserem Senior im Team, Pavel Zpevag, nicht. Er ließ irgendwann den Damentausch zu, wonach Routinier Philipp Schlosser mit Mehrbauern den knappen Deizisauer Sieg über die Ziellinie retten konnte.
Es stand das allerletzte Haller Spiel am 1. Mai an: gegen Aachen sollte es indes auch keinen versöhnlichen Abschluss geben, wieder blieb der Gegner knapp, aber verdient, mit 4,5:3,5 in der Vorhand. Vorentscheidend war die überraschende Niederlage Inarkievs gegen die holländische Nachwuchshoffnung Jorden Van Foreest an Brett 1. Die Bretter 2 bis 6 endeten allesamt mit Remis, wobei die Partie von Matthias Womacka spektakulär mit Dauerschach endete.
Womacka,Mathias (2434) - Handke,Florian (2525)
Bundesliga 2017-18 Berlin (15), 01.05.2018
Stellung nach 21.Sb5:
Das war aus einer Hauptvariante des Österreichischen Angriffs im Pirc entstanden. Vermutlich gibt es schon Vorgänger hierzu. 21...Txd5 22.Txh8+ Lxh8 23.Txd5 Dxd5 24.fxg6 Dh1+ 25.Kd2 Dg2+ 26.Ke3
26...Kd8 27.Df8+ Kd7 28.Df5+ Kd8 29.Df8+ Kd7 30.Df5+ Kd8 ½-½
Wiederum war es Zpevak nicht vergönnt, das schlechtere Endspiel zu halten, womit der Sieg für Aachen sicherstand. Ein Erfolgserlebnis gab es immerhin noch, und ich freute mich, dass es mir selbst vorbehalten war: in einer spannenden Zeitnotschlacht konnte ich meinen Gegner in einem Mattnetz fangen.
Zeller,Frank (2371) - Zaragatski,Ilja (2495)
Bundesliga 2017-18 Berlin (15), 01.05.2018
Stellung nach 31.Da8:
31...Lxf4!? Beiden blieben kaum mehr als 2 oder 3 Minuten. Ilja wollte auf Gewinn spielen, mit 31...Tb8 hätte er auf Zugwiederholung spielen können nach 32.Da7+ Tb7 33.Da8 Tb8, denn bei 32.Ta7+? Kc8 wäre plötzlich die weiße Dame gefangen! 32.Dxf8 Lg5 33.Sg3 Lxe3? Zu gierig. Mit 33...Le7 sollte Schwarz auf Konsolidieren spielen. 34.Le8 Lg5? Nach Tausch der weißfeldrigen Läufer steht der schwarze König nackt. Das Endspiel nach 34...Dd8 35.fxe3 Dxe8 36.Dxe8 Lxe8 37.Sxf5 ist zwar besser für Weiß, war aber noch zu halten. 35.Lxd7 Kxd7 36.Ta8 Ld8 37.Dxf5+ Ke8 38.Sxe4 Td7
39.Sf6+ 1-0
Wird womöglich für eine lange Zeit der letzte Haller Bundesligasieg in der Vereinshistorie bleiben.Zumindest bei den Herren…