„Bexit“ rettet FC Bayern nach Derby-Schlappe

Erstellt am: 02.05.2017

„Wahnsinn“: Aufsteiger MSA Zugzwang feiert unerwarteten Bundesliga-Klassenerhalt / Münchner Renommierclub gelingt Rückzugs-Hattrick

Von Hartmut Metz

Erst schien die Münchener Schachakademie (MSA) Zugzwang durch den Derby-Sieg am Samstag über Bayern München den Klassenerhalt in der Bundesliga gesichert zu haben. Tags darauf schlug der FCB mit einem 5:3 über DJK Aachen zurück und rückte auf den umkämpften zwölften Tabellenplatz vor. Am Montag bezwang auch MSA Zugzwang den Mitaufsteiger dank eines erneuten 5:3 und überflügelte den Stadtrivalen mit 8:22 Punkten wieder. Doch diesmal nahmen die Bayern (7:23) das ganz entspannt.

Schon am Sonntagabend hatte sich nämlich ihre Rettung abgezeichnet. Obwohl der 13. Tabellenplatz der erste Abstiegsrang in der 16er-Liga ist, reichte dieser erneut zum Klassenerhalt. Ein Hattrick! Zum dritten Mal in Folge profitiert die Schach-Abteilung des Fußball-Rekordmeisters von Rückzügen. Diesmal verlässt der Tabellensiebte Trier (17:13) nicht nur das Oberhaus – der Großteil der Mannschaft wechselt nach Großbritannien in die 4 National Chess League (4NCL)! Der Bundesliga-Exit („Bexit“) ist ein weiterer kurioser Schritt in einer an Kuriositäten reichen Liga. Das Trierer Team um Macher Dietmar Kolbus bemängelte seit Jahren die Unterstützung im eigenen Verein und so kam wohl mit dem englischen Leistungsträger Stewart Haslinger die Idee auf, doch gleich das ganze Land zu verlassen.

Zur Randnotiz verkam so der neue Rekord von Serienmeister OSG Baden-Baden, der zum elften Mal in den vergangenen zwölf Jahren deutscher Meister wurde. Das Starensemble um den ehemaligen indischen Weltmeister Viswanathan Anand, der sich in Berlin einmal an Brett vier einreihte, gab sich keine Blöße und schloss die Saison mit 30:0 Zählern weit vor Hockenheim (24:6) und Titelverteidiger SG Solingen (22:8) ab. Durch ihre grandiosen 92,5:27,5 Brettpunkte steigerten die mit vier Top-Ten-Assen angetretenen Kurstädter eine weitere Bestmarke.

Das größere Wunder vollbrachten aber eigentlich die Zugzwang-Amateure: „Wahnsinn, Wahnsinn“, kommentierte Markus Lammer den „sensationellen Klassenerhalt, an den wir vor der Saison eigentlich selbst nicht glaubten“. Doch einmal mehr machte der Aufsteiger „die Big Points. Wir sind Tabellenführer im Keller, weil wir die meisten wichtigen Kämpfe gewannen“, analysiert der MSA-Kapitän. Der FC Bayern holte zwar die ganze Saison über beachtliche 4,5 Brettpunkte mehr (46 gegenüber 41,5), aber verteilte diese weit weniger günstig als der Lokalrivale. So auch im Derby. Ausgerechnet der in dieser Saison so überzeugende Linus Johansson patzte nach seiner GM-Norm wie ein Anfänger. Nach nur zwölf Zügen stand der Schwede hoffnungslos auf Verlust, auch wenn er die Partie noch zwei Stunden lang hinschleppte. Altmeister Gerald Hertneck fand es nach der „Eröffnungskatastrophe meines Gegners nicht schwer“, MSA Zugzwang schnell in Front zu schießen.

Gerald Hertneck | Foto: Hartmut Metz
Gerald Hertneck | Foto: Hartmut Metz

Nach und nach folgten fünf Remis. Beim 2,5:3,5 aus Sicht der Bayern musste Michael Fedorovsky am Spitzenbrett daher unbedingt für den Ausgleich sorgen. Doch in Zeitnot verlor er plötzlich den Faden. Stefan Bromberger konterte mit einem Bauernopfer und zog – wie es Hertneck bei einem zeitgleichen Interview auf der Bundesliga-Webseite voraussah - den Kopf aus der Schlinge. MSA half das Unentschieden weit mehr als den Bayern. Danach war es egal, dass auch noch Philip Lindgren sein Remis-Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern gegen Robert Zysk in den Orkus zum 3:5 beförderte.

Stefan Bromberger | Foto: Hartmut Metz
Stefan Bromberger | Foto: Hartmut Metz

Am Sonntag hakte der Aufsteiger das 2:6 gegen Trier rasch ab, weil deren Abschied durchsickerte. „So konnten wir in das letzte Match relativ locker gehen“, berichtete Lammers ungeachtet des 5:3 der Bayern über Aachen. Das war glücklich, weil Alexander Belezky im 39. Zug seine vorherige Gewinnstellung in den Verlust manövrierte und seine Negativserie fortzusetzen schien – aber durch Zeitüberschreitung seines Kontrahenten Ilja Zaragatski doch triumphierte. Damit war die Niederlage von Spitzenspieler Michael Bezold gegen den Peruaner Julio Granda Zuniga egalisiert. Die schwedische Mittelachse Philip Lindgren und Stefan Schneider sorgte für den Vorsprung mit Erfolgen über Michael Hoffmann und Fernando Braga. Der beste MSA-Spieler der Saison, Robert Zysk, der bis dahin als einziger im Team eine positive Saisonbilanz mit 6,5/12 aufgewiesen hatte, büßte diese durch eine Niederlage gegen Zaragatski ein. Stefan Bromberger gegen Granda Zuniga, Falk Hoffmeyer (im Vergleich mit Braga) und Lammers (gegen Nicola Capone) bescherten MSA Zugzwang ein diesmal glückliches 5:3 sowie die Punkte drei und vier am Abschlusswochenende – so viele wie zuvor an zwölf Spieltagen zusammen!

Markus Lammers | Foto: Hartmut Metz
Markus Lammers | Foto: Hartmut Metz

Bayern unterlag am Saisonende ausgerechnet dem Retter Trier mit 3,5:4,5. Fedorovsky und Schneider hatten dabei das Nachsehen gegenüber Mircea Parligras und Laszlo Gonda. Dem punktbesten Bayern in der Saison gelang der Ehrentreffer: Der ungeschlagene Peter Meister baute sein Einzelresultat auf 4,5/6 aus. „Die Niederlage gegen Zugzwang war erst ein K.o.-Schlag, weil wir unbedingt gewinnen und Zwölfter werden wollten. Aber schön, dass wir nun doch beide drin bleiben“, freute sich Bayern-Abteilungsleiter Jörg Wengler. Während für Lammers der „Klassenerhalt auf dem sportlichen Weg noch schöner ist und ein anderes Gefühl schafft als einer am Grünen Tisch“, sieht es der FCB-Kapitän Wengler pragmatisch nach dem erneuten Glück durch einen Rückzug und diesem Triple, von dem die Kicker seines Vereins nur träumen können: „Wir haben damit zusammen nächste Saison wieder drei Bundesliga-Spieltage in München!“

Jörg Wengler | Foto: Hartmut Metz
Jörg Wengler | Foto: Hartmut Metz


Über den Autor

Bild des Benutzers Georgios Souleidis

Georgios Souleidis ist Internationaler Schachmeister und hat in Bochum Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert. Er arbeitet als Journalist, Autor und Schachtrainer. Er schreibt u.a. als Chefredakteur für die Schachbundesliga, für Chessbase, die Zeitschrift SCHACH, SPIEGEL ONLINE oder die Deutsche Presse-Agentur. Falls er mal nicht schreibt, Training gibt oder auf seinem YouTube-Kanal Schach lehrt, versucht er aktiv am Brett zu beweisen, dass 1. e2-e4 der beste Eröffnungszug ist.