Verrückte Partie

Erstellt am: 30.10.2014

Gleich in der 1. Runde der Schachbundesliga kam es im Kampf zwischen Solingen und München zu einer Partie, die definitiv in die Auswahl zur Partie der Saison aufgenommen wird. Wer die verrückten Stellungsbilder in Naumann-Jorczik verpasste, sollte schnell einen Blick auf den folgenden Artikel werfen.

Die folgende Analyse erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, dafür ist diese Partie viel zu kompliziert. Wir gehen nur auf einige kritische Stellungen ein, bevor es am Ende richtig wild und bunt wird. Viel Spaß!

Naumann,Alexander (2540) - Jorczik,Julian (2405) [A65]
SBL 2014/15 SG Solingen - Bayern München, 18.10.2014


1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Sge2 c5 7.d5 a6 8.a4 e6 9.Sg3 exd5 10.cxd5 Sbd7 11.Le2 h5 12.0-0 h4 13.Sh1 Sh5 14.Le3 f5 15.f4

In einer Vorgängerpartie einigten sich die Kontrahenten in dieser Stellung, die gerade anfängt interessant zu werden, auf remis. Wie soll Schwarz auf den Angriff auf seinen Springer reagieren? 15...fxe4!? Schwarz opfert einen Bauern, es steckt aber so viel Dynamik in der Stellung, dass er genug Gegenspiel zu erhalten scheint. Der Rückzug 15...Shf6 war möglich. Nach 16.exf5 (16.e5 dxe5 17.fxe5 Sxe5 18.Lxc5 Te8) 16...gxf5 17.Sf2 nimmt Schwarz aber strukturelle Nachteile und schwache Felder in Kauf. Es ist unklar, ob er nach z.B. 17...Te8 genug Gegenspiel erhält. 15...De8 oder 15...h3!? waren weitere Möglichkeiten, um die Stellung auf dynamische Weise zu behandeln. 16.Lxh5 gxh5 17.Dxh5 Sf6 18.Dxh4 Sg4 19.Dxd8 Txd8

Nach 15.. .fxe4 ist forciert diese kritische Stellung entstanden. Weiß steht vor der Wahl, ob er die Qualität gibt oder den Läufer zurückzieht. 20.Tfe1 Weiß gibt die Qualität, aber das scheint fragwürdig zu sein. 20.Lf2 Sxf2 21.Sxf2 e3 22.Sfe4 Lf5 und Schwarz sollte dank seines starken Läuferpaars genügend Gegenspiel besitzen, aber definitiv nicht mehr. 20...Sxe3 21.Txe3 Ld4 22.Tae1 22.Kf2 scheint genauer zu sein, um dem folgenden Vorstoß den Wind aus den Segeln zu nehmen 22...b5! 23.Sf2 23.axb5 axb5 24.Sxb5?? Lxe3+ 25.Txe3 Ta1+ 26.Kf2 Txh1-+ 23...Lxe3 24.Txe3 bxa4 25.Sfxe4 Tb8

Schwarz hat jetzt Vorteil, da er für seine Türme reichlich Betätigung findet. 26.Sxa4 Tb4 27.Sac3 Lf5 28.Sg3 Lc2 29.Te2 Txb2 30.Sf5 Tdb8 31.Sxd6 Ld3 32.Te3 c4 33.h4 T2b3 34.Se2 Td8 35.Se4 Kf8 36.Sd4

36...Tb1+?! Hier verpasste Schwarz 36...Txd5!, da Weiß nicht mit 37.Sxb3 fortsetzen kann wegen 37...cxb3 38.Sc3 b2-+ 37.Kh2 Txd5 38.Se6+ Kf7 39.Sc3 Tbb5

40.g4?! Es gab keinen Grund die Qualität mit 40.Sxd5 zu verschmähen. Nach 40...Txd5 41.Sg5+ Kf8 42.h5 sind die Chancen verteilt. 40...Tb2+ 41.Kg3 Td6 42.Sc5 Tc2 Jetzt steht Schwarz wieder besser, auch wenn Weiß mit seinen Springer weiter rumwirbelt und praktische Probleme stellt. 43.S3a4 Te2 44.Txe2 Lxe2 45.Sc3 Ld1 46.f5

Langsam wird deutlich, welch verrückte Stellung bald auf dem Brett stehen wird. Weiß setzt voll auf seine drei verbundenen Freibauern. 46...Lc2 47.h5 a5 48.Kf4 Td4+ 49.Kf3 49.Kg5 Ld1!-+ 49...a4! 50.h6 50.S3xa4 Td5! 51.Ke3 c3-+

50...a3? Das erlaubt den Vorstoß des h-Bauern bis nach h7. 50...Kg8! und Weiß kommt nicht weiter. Der Springer auf c5 darf nicht ziehen wegen Td3+, der König hat keinen sinnvollen Zug und einen der Bauern vorzustoßen, bringt Weiß nichts ein. Also bleibt nur 51.S3xa4 und jetzt gewinnt Schwarz wieder mit dem feinen Zug 51...Td5 , der die Springer bindet und dem c-Bauern freie Frahrt gibt. 51.h7 Td8 51...Kg7?? ist nicht möglich wegen der Gabel 52.Se6++- 52.Se6?! Jetzt hätte Weiß seinen König und g-Bauern mobilisieren können: 52.Kf4! Th8 53.g5 Kg7 (53...Txh7? scheitert natürlich an 54.g6+) 54.g6

Analysediagramm

Weiß droht jetzt tödlich 55.Se6+ und die Bauern sind so weit vorgerückt, dass Schwarz jetzt keine Wahl hat und sie durch ein Figurenopfer eliminieren muss. Nach z.B. 54...Lxf5 55.Kxf5 Tf8+ 56.Kg5 Te8 57.Kf5 Tf8+ 58.Kg5 Te8 endet die Partie remis. 52...Th8 53.Kf4 Ke7! Stark. Schwarz droht jetzt den Bauern auf h7 zu schlagen. Sofort ging das nicht wegen der Gabel Sg5+. 54.Sg5? Nach 54.Sd5+ Kd6 55.Sc3 Txh7 56.Sb5+ Ke7 57.Sxa3 fliegen die stärksten Bauern vom Brett und remis ist das wahrscheinlichste Resultat. 54...Lb1 Jetzt sollte der schwarze a-Bauer entscheiden. 55.Sd5+ Kf8 56.Se6+ Ke8 57.g5

57...a2? Man kann es Schwarz nicht verdenken, dass er sich schnell eine Dame holen wollte, aber das führt objektiv zum Remis. Stattdessen hätte er einfach 57...Txh7 spielen können, da Weiß nach 58.Sf6+ (58.g6 Th1 59.g7 Kf7-+) 58...Ke7 59.Sxh7 a2 mit seinen Bauern zu weit von den Umwandlungsfeldern entfernt ist. 58.g6 a1D 59.g7 Kf7 Darauf hatte sich Schwarz wohl verlassen, doch jetzt folgt 60.f6!

Eine Traumstellung. Unter Figurenopfer verschließt Weiß die Diagonale a1-h8 und die weit vorgerückten weißen Bauern kompensieren einen immensen Materialnachteil.

Alexander Naumann

Alexander Naumann sprach nach der Partie von der "Stellung der Saison". 60...Kxe6 61.gxh8D? Wie gewonnen, so zerronnen. Das lässt ein Mattfinale zu. Stattdessen remisierte 61.g8D+! Kd6 62.Dxh8! und Schwarz hat jetzt nach 62...De5+ 63.Kg4 Lf5+ 64.Kg5! nicht mehr als Dauerschach. 64...Lxh7+ 65.Kh6! Kxd5 66.Kxh7= 61...De5+ Weiß wird jetzt forciert matt gesetzt. Der Unterschied zu 61.gxh8D ist, dass der König auf e6 den Läufer auf f5 deckt, so dass sich die schwarze Dame frei bewegen kann. 62.Kg4 Lf5+

Mit dem König auf d6 könnte der weiße König jetzt über g5 entwischen. 63.Kf3 Dxd5+ 64.Kf2 Dd4+ 65.Kf3 Le4+ 66.Kg3 De3+ 67.Kh4 Df2+ 68.Kg4 Lf5+ 0-1

Julian Jorczik

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