Titelkampf entschieden – dahinter ist alles möglich!

Erstellt am: 02.02.2015
Werder Bremen lieferte in der 9. Runde der Schachbundesliga der OSG Baden-Baden einen großen Kampf und knöpfte dem Deutschen Meister einen Punkt ab. Andreas Albers schaut ausführlich auf diese Begegnung, geht aber auch auf die Höhepunkte in den restlichen Kämpfen ein.

Spannender Spitzenkampf

Es war das erhofft spannende Match, auch wenn die ersten und letzten beiden Partien bereits kurz nach der erlaubten „20 Züge-Grenze“ friedlich endeten. Die Bremer hatten sich einiges vorgenommen und „versteckten“ Zahar Efimenko am Samstag noch, um ihn dann am Sonntag morgen aus dem Hut zu zaubern. Mit Schwarz gegen den neuernannten „Mister Bundesliga“ Arkadij Naiditsch ist vielleicht nicht die dankbarste Aufgabe, aber mit dem Überraschungseffekt gelang es dem Ukrainer relativ locker auszugleichen und sogar leichten Druck zu entwickeln. Ein wunderbares Saisondebüt gelang dem dänischen Spitzensekundanten Peter Heine Nielsen, der seinen Schützling Magnus Carlsen für das am Montag startende „Grenke-Classic“ begleitete und vermutlich am Wochenende kurzzeitig einmal die Rollen tauschen durfte. Zwei Siege, darunter am Sonntag in sehr überzeugender Manier gegen „Prinz“ Matthias Bluebaum, der seine erste Saisonniederlage kassierte.

Führung also für den Dauermeister, alles im Lot also, oder? Shirov hatte einige Probleme gegen Luke McShane, konnte diese aber lösen und in der letzten Partie des Matches vielleicht sogar noch einiges versuchen, sicherte aber lieber zum 4-4 ab, was praktisch den Titel bedeutet.

Wieso 4-4? Wo war etwas schief gelaufen? Liviu-Dieter Nisipeanu wird seine erste Saison unter deutscher Flagge sicher ganz schnell vergessen wollen, vereinigt er doch alles Pech des Teams auf seinem Brett! Sechs Partien hat Baden Baden in dieser Spielzeit verloren, davon einmal Bacrot mit Schwarz gegen Gelfand (was vorkommen kann) und einmal Georg Meier. Die restlichen vier Niederlagen gehen alle auf das Konto der deutschen Nummer 2, so dass bereits unter manchen Liga-Konkurrenten gegrinst wird, er wäre vielleicht doch lieber Rumäne geblieben. Gegen Tomi Nyback (durch die Efimenko-Einwechslung zum zweiten Mal mit Weiß) geriet er nach der Eröffnung unter unangenehmen Druck und wurde bei der Suche nach Gegenspiel böse erwischt:

Nyback,Tomi (2604) - Nisipeanu,Liviu-Dieter (2658)
SBL 1415 OSG Baden Baden - Werder Bremen (9.5), 01.02.2015


Stellung nach 34.Dc3:

Weiß steht gut, vielleicht sogar sehr gut, aber so ganz einfach ist die Sache noch nicht. 34...hxg3? 34...b5 ist zwar häßlich, aber notwendig, in der Partie wird nun der gefesselte Springer zum tragischen Helden. 35.e5! 35.hxg3 darauf hatte Schwarz vielleicht gehofft, aber nach dem Textzug geht es schnell bergab. 35...Ld8 ist nicht besonders hübsch, hält den weißen Vorteil aber in Grenzen (35...b5 um 36.d5 mit 36...Db6+ abzufedern wäre auch möglich); 35.d5!? gxh2+ 36.Kh1 Sh5 scheint auch zu gehen, allerdings ist Weiß jetzt gezwungen Sf1 zu spielen, was er vielleicht nicht so gerne macht 37.Sf1 exd5 38.exd5 und auch wenn der Rechner eine Figur mehr für Weiß sieht, ein wenig bedrohlich sieht es um den weißen König auch aus. 35...gxh2+[35...Sd5 36.Lxd5 exd5 37.b5 und Weiß gewinnt eine Figur 36.Kxh2 Sd5 37.Lxd5 exd5 38.b5 Dc8 39.bxc6 Lg5 40.Sf3 Lf4+ 41.Kg2 1-0

Am Ende also ein leistungsgerechtes Unentschieden, mit dem beide Teams gut leben können, Tabellenplatz 1 und 2 gefestigt, Bremen hat zwei Punkte Rückstand auf die Spitze, aber drei Vorsprung auf den Dritten, dazu ein recht lockeres Restprogramm. Wenn es gegen Schwäbisch Hall und Dresden nicht zwei Niederlagen geben sollte, dann heißt der Vizemeister wohl Werder Bremen.

Im Parallelkampf zwischen Eppingen und Emsdetten ließen beide Teams Ihre Spitzenkräfte fast komplett zu hause, Anish Giri gelang ein recht überzeugender Weiß-Sieg gegen Csaba Balogh:

Die Holländer Jorden van Foreest und Ruud Janssen, mit dem erfahrenen Kämpfer Jonny Hector dazwischen, waren mit einem Punkt aus neun Partien an diesem Wochenende doch überfordert. Dass es dennoch zum Überraschungssieg und damit endgültigen Klassenerhalt reichte, lag an einem Zeitnot-Blackout vom bisherigen Topscorer auf Eppinger Seite:

Fiebig,Thomas (2408) - Medvegy,Zoltan (2527)
SBL 1415 SC Eppingen - Turm Emsdetten (9.7), 01.02.2015


Stellung nach 36.Tc5:

Schwarz kann den Bauern a2 einkassieren und dann schauen, ob es für den ganzen Punkt reicht oder nicht. Mit wenigen Sekunden auf der Uhr will er aber mehr als den Spatz, sondern die dicke Taube auf d4. 36...Td3?? 37.Te5+ und dank 37.Te5+ Kd7 38.Sc5+ geht eine ganze Qualität flöten und die Partie ist direkt entschieden. 1-0

Plötzlich ist Eppingen (in den letzten vier Jahren jeweils 4. in der Abschlusstabelle) auf dem letzten Nichtabstiegsplatz, wer hätte das gedacht? Es fehlt außer Medvegy ein Spieler mit richtig gutem Ergebnis, vielleicht (zumindest von außen betrachtet) auch ein wenig mannschaftliche Geschlossenheit, nur Medvegy und Postny haben alle Runden gespielt, ansonsten wird fröhlich rotiert. Dennoch sollte es in Eppingen keine Unruhe geben, mit Hamburg, Katernberg und Rostock gibt es noch drei Gegner gegen die man favorisiert ist und alle bärenstarken Teams hat man bereits hinter sich. Supereffektiv erweist sich mal wieder der Turm von Emsdetten, mit nur 34,5 Brettpunkten ist man genauso gut wie Eppingen hat aber in der Tabelle sechs Teams hinter sich mit mehr Brettpunkten.

Austrudeln bei Hall?

Nach der unglücklichen Niederlage im Spitzenmatch gegen Baden Baden ist zumindest personell an diesem Wochenende bei Schwäbisch Hall eher die „zweite Garnitur“ am Start gewesen. Nach dem 4 – 4 am Samstag gegen Hockenheim setzte es nun gegen Trier eine 3-5 Niederlage, bei der die beiden Rumänen Lupulescu und Parligras ihre starke Leistung bisher mit Siegen bestätigen konnten. Gemeinsam 11,5/14 an Brett 2 und 5 sind mehr als aller Ehren wert und machen Trier laut der Statistik-Seite des Godesberger SK
zur erfolgreichsten Mannschaft der Liga, gemessen an den eigenen Elozahlen.

Ein schneller Schwarzsieg tut einer Mannschaft immer gut und diesmal war Frank Zeller der Leidtragende, dessen Evans-Gambit gründlich daneben ging. Bereits nach elf Zügen war klar, das hier etwas schief gegangen war.

Und auch Lupulescu „erwischte“ die Tschechische Nummer 2 Viktor Laznika bereits in der Eröffnung, auch wenn diese Partie wesentlich länger dauerte, stand der Sieg doch nie außer Frage. Einzig Bracot-Sekundant Matthieu Cornette hatte in einem Damenendspiel gegen Piotr Bobras anderthalb Bauern mehr und schürte die Haller Hoffnungen auf einen Punkt, aber wenn es einmal nicht sein soll, dann soll es nicht sein und so verteidigte der Trierer auch diese kritische Stellung erfolgreich.

Gleichzeitig zerlegte Hockenheim Bayern München ziemlich locker flockig mit 7 – 1 und besiegelte damit wohl endgültig den Abstieg der Letztgenannten. Die Münchener warten nun bereits seit vier Runden auf einen Partiegewinn, wehrten sich aber auch an diesem Sonntag tapfer und bleiben ein unangenehmer Gegner.

Aufbau West? Hamburg macht fette Beute!

Vor dem Wochenende war klar, dass die Begegnung Berlin – Hamburg „überlebenswichtig“ für beide Teams sein würde. Der samstägliche Sieg von Dortmund gegen Mülheim tat sein übriges, um die Abstiegsangst zu schüren. Die (aus Hamburger Sicht) befürchtete morgendliche personelle Verstärkung der Hauptstädter blieb aus und so gingen die Hanseaten mit leichten Vorteilen ins Match.

Nach 2,5 Stunden lagen nicht nur graue Wolken über Rostock, sondern auch über der Hamburger Bundesligazukunft, die meisten Partien ein wenig besser, aber an Brett 8 schien Jonathan Carlstedt überspielt worden zu sein und es war nicht klar, wo das Match überhaupt ausgeglichen werden sollte. Jonas Lampert zauberte gegen Dennes Abel zwar eine kräftige Vorbereitung aufs Brett, die eigentlich mal für Igor Khenkin gedacht war, fand aber trotz 1,5 Stunde Zeitvorteil nicht die entscheidende Fortsetzung und musste sich ins Remis fügen.

„Ich weiß, es ist richtig gut für Weiß, es muss gewonnen sein, aber ich habe keine Ahnung welcher Zug von mir zu verbessern ist!“ war Jonas nach der Partie leicht verzweifelt. Später holte er sich Rat von den Teamkollegen und gemeinsam mit Robin van Kampen, Ehsan Ghaem Maghami und Sipke Ernst wurde in der Tat der kritische Moment gefunden:

Lampert,Jonas (2453) - Abel,Dennes (2441)
SBL 1415 Schachfr. Berlin - Hamburger SK (9.7), 01.02.2015


Stellung nach 20...Sxh5:

in der Kurzanalyse waren sich beide Spieler einig, dass das Schlagen auf d7 logisch und nicht zu diskutieren ist, gingen zum weiteren Partieverlauf über. Mit großmeisterlicher Untersützung wurde das Schlagen dann doch als Fehler enttarnt und stattdessen: 21.Dxd7?! 21.Th1! Eine hervorragende Idee, auf die selbst mein Computer erstmal gestoßen werden muss. 21...Lf6 22.Lc1 g6 und nun 23.Txh5! De6? geht schon mal nicht wegen (23...Tfd8 24.Tdh1 gxf5 25.Dg3+ Kf8 26.Lh6+ Ke8 27.Te1+ Le5 28.Lc1 nebst f4 und riesigem Angriff.) 24.Dg3 Tfd8 25.Tdh1! Sb6 26.Dh3 und Schwarz geht unter 21...Lf6 22.Lc1 Tad8 23.Da4 g6 24.g4 Sf4 25.Txd8 Txd8 26.Te8+ Kh7 27.Txd8 Dxd8 28.Lxf4 gxf5 29.Dc2 Dd4 30.Le3 Dxg4 31.Lxc5 b6 32.Le3 Kg7 33.a3 f4 34.Lc1 Ld4 35.Dd2 eine starke Verteidigungsleistung von Abel, der unter Zeitdruck viele einzige Züge gefunden hat und dam Ende für seine Arbeit belohnt wurde. ½-½

Ein Remis das weh tat, allerdings durch die Erfolgsmeldung von Brett 8 aufgewogen wurde, in der Carlstedt den Laden nicht nur zusammengehalten, sondern sogar gewonnen hatte gegen einen kopfschüttelnden Lars Thiede.

„Plötzlich gewinnen wir an allen Brettern“ frohlockte Ghaem Maghami nach seinem Remis und in der Tat gewann Ernst ein Zeitnotduell gegen Lauber und auch Jan Krzystof Duda (am Samstag noch beinahe kampflos verloren wegen eines Missverständnisses um den Rundenbeginn!) übernahm gegen Landsmann Mista das Kommando. Letztendlich ein lockerer 5,5 – 2,5 Sieg und ein perfektes Wochenende für Hamburg, die sich nicht in Sicherheit wiegen können, aber nun zumindest wieder leben. Die bisher schwächste Dresdener Aufstellung am Samstag hatte mit Sicherheit geholfen, aber alles in allem war es schlicht eine starke Leistung des ganzen Teams.

Und Rostock? Als Gastgeber wunderbar, das erste Bundesligawochenende in der Vereinsgeschichte wurde hervorragend durchgeführt und am Ende gab es sogar ein richtiges Erfolgserlebnis, wenn auch nicht für die ganze Mannschaft. GM Jazek Tomczak notierte bisher bei 1,5/8 an Brett 1 und vor allem mit Schwarz überlebte er einige Male die Eröffnung nicht (siehe Li Chao – Tomczak und Melkumjan – Tomczak), aber an diesem Sonntag sollte alles anders sein und das gegen einen der ganz großen Fische.

Balsam auf die Seele des jungen Polen und der erste Sieg der Rostocker an einem höheren Brett in dieser Saison. Am Ende waren die Dresdener trotzdem zu stark und es setzte eine 1,5 – 6,5 Niederlage, aber die Ostseestädter genießen die Liga und werden im nächsten Jahr in Liga 2 wieder angreifen.

Wütender Sonntag für Mülheim

Nach der etwas peinlichen Niederlage am Vortag gegen Dortmund ließen die Mülheimer um Daniel Fridmann nun ihren Frust an den, in dieser Saison arg gebeutelten Katernbergern aus: 7 – 1 gegen eine fast gleichstarke Mannschaft, es geht doch! Den Auftakt macht Alexander Berelowitsch, dessen Gegner Ilja Zaragatzki mit der falschen Figur zurück schlug und mattgesetzt wurde:

Berelowitsch,Alexander (2543) - Zaragatski,Ilja (2469)
SBL 1415 SF Katernberg - SV Mülheim Nord (9.5), 01.02.2015


Stellung nach 16.Sxe4:

Hier ist sicher schon einiges schief gelaufen, aber noch ist die Sache nicht entschieden: 16...Lxd4?? 16...Dxd4 nun steht Weiß bestimmt ordentlich, aber es ist bei weitem nichts entschieden. 17.Sxc5 Dxc5 18.Dd2 Te8! 19.Dh6 Df8 17.Dd2! wenn man es sieht, wirkt es nicht so schwer 17...Kh8 17...Lxe5 18.Dh6 Lxf6 19.Sxf6+ 18.Dh6 Tg8 19.Sg5 1-0

Für die Dortmunder war Solingen dann doch eine Nummer zu groß, auch wenn Hera sich lange mühte, um gegen Erwin L´Ami zu gewinnen, aber Ragger und Nikolic holten am Ende die entscheidenden Siege und entledigten sich somit endgültig aller Sorgen für diese Spielzeit. Dortmund ist immer noch nicht gerettet, hat aber mit neun Punkten und München im Programm weiterhin beste Chancen ein kleines Wunder zu schaffen. Man stelle sich vor die Stadt habe bald zwar einen Schach- aber keinen Fussballbundesligisten mehr...

Trübsal blasen ist im Augenblick bei Katernberg angesagt, die erst sechs Punkte auf dem Konto haben und somit Abstiegskandidat Nummer 1 nach München und Rostock sind. Aber Totgesagte leben länger, wie man weiß und die verschworene Truppe von Ulrich Geilmann wird sicher noch alles versuchen, um sich zu retten.
Es stehen drei spannende Wochenenden ins Haus...

Einzelergebnisse der 9. Runde
Alle Partien nachspielen auf dem Liveportal

Andreas Albers

Über den Autor