„Der MSC 1836 hätte es total verdient“

Erstellt am: 10.06.2020

Online-Schach boomt – die normalen Meisterschaftsrunden bleiben aber in der Schwebe

Von Hartmut Metz

„Für den MSC 1836 wäre es ungerecht, wenn er nicht aufsteigt. Die haben es total verdient“, findet ausgerechnet Großmeister Gerald Hertneck (Foto oben) und wirft sich für den Lokalrivalen in die Bresche. Der Münchener Schachclub von 1836 hatte im Zweitliga-Spitzenkampf Hertnecks Münchener Schachakademie (MSA) Zugzwang mit 7,5:0,5 überrollt und schien auf dem besten Wege in die Bundesliga - bis Corona kam. Nun ist bis mindestens 21. Juni in der Schwebe, wie es im deutschen Oberhaus weitergeht und ob die Zweitliga-Saison zu Ende gespielt wird.

Erstaunlicherweise trägt MSC-Chef Michael Reiß die Ungewissheit mit größter „Gelassenheit“. Dass der Höhenflug des aus den Niederungen der Kreisliga-Asche aufsteigenden Phönix nun so abrupt gebremst wird, sei eben „nicht zu ändern. Dann steigen wir eben ein Jahr später auf“, meint der für das Comeback des ältesten bayrischen Sportvereins verantwortliche Reiß trocken. Er fände es nur „ungerecht, wenn Deggendorf aufsteigt“. Der Tabellenführer der Zweiten Liga Ost hatte gegen den MSC 1836 auch nichts zu bestellen, aber liegt wegen eines vorgezogenen Duells mit 13:3 gegenüber 12:2 Punkten aktuell auf dem Platz an der Sonne.

MSA Zugzwang hat sich derweil in sein Schicksal gefügt: „Die Übermacht war zu groß. Als Nummer drei der Liga können wir die Entscheidung gelassen sehen“, meint Hertneck und plädiert für einen sofortigen Abbruch der Saison, „schließlich stehen nur noch zwei Runden aus. Der Deutsche Schachbund hat Quatsch gemacht, als er die Zweitliga-Saison erst um ein Jahr verlängern wollte und dann wieder zurückruderte.“

In der Schach-Bundesliga dagegen ist auch laut Ex-Nationalspieler Hertneck die Lage eine andere: Erst die Hälfte der Saison ist absolviert. Der FC Bayern steht mit 8:8 Punkten so gut wie lange nicht mehr da. Die Fahrstuhlmannschaft, die in den 90er Jahren noch regelmäßig den Titel abräumte, findet sich mit Platz acht ungewohnt weit vorne. Der Klassenerhalt stünde weder bei einem Abbruch noch bei einer Verlängerung zur Diskussion - zumal mit dem SV Lingen bereits ein Team schon weit vor der Corona-Krise zurückgezogen hatte und damit als erster von vier Absteigern in der 16er-Liga feststeht.

„Dass die Bundesliga bei noch drei offenen Wochenenden mit sieben Spieltagen schnell zu Ende gespielt wird, bleibt unrealistisch“, meint Bayern-Kapitän Jörg Wengler vor allem mit Blick auf die Legionäre aus aller Herren Länder. Er plädiert deshalb auch für das von Bundesliga-Präsident Markus Schäfer derzeit favorisierte Modell, ab Herbst einfach die Saison fortzusetzen und den Meister eben 2021 zu küren. „Das ist sportlich am fairsten, die Runde zu Ende zu spielen“, unterstreicht Wengler. Der Abteilungsleiter der Bayern-Schachspieler sieht dabei das Schicksal der Reserve, die mit 3:11 Punkten als Achter knapp vor dem SC Garching (2:12) liegt, gelassen: „Dann steigt sie halt ab aus der Zweiten Liga.“

Im Gegensatz zu anderen Profi-Sportarten plagen die Vereine keine Dauerlasten für Saläre. Üblicherweise werden die Großmeister pro Einsatz bezahlt. „Ausgaben fallen dadurch weg. Für die Spieler hat das größere Auswirkungen“, weiß Wengler. Kein Spiel, kein Geld: Die Verlierer sind deshalb nicht die Klubs, sondern die ohnehin selten auf Rosen gebetteten Schach-Profis. Online-Schach boomt zwar zu Corona-Zeiten, weil auf den Plattformen wie Chess.com oder Lichess täglich Millionen von Partien ausgetragen werden – Online-Turniere gibt es aber nur wenige und die sind auch nicht übermäßig dotiert. Reiß organisiert daher für seine Asse eigene Online-Turniere, damit sie leichter überleben können. „Die Spieler sind dafür sehr dankbar“, hat der Macher des MSC 1836 festgestellt und vertraut auf eine engere Vereinsbindung der Profis – so es mal wieder an die realen Holzbretter geht.



Über den Autor

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Hartmut Metz ist Redakteur beim Badischen Tagblatt mit Hauptsitz in Baden-Baden. Er schreibt außerdem unter anderem für die taz, die Frankfurter Rundschau und den Münchner Merkur über Schach und Tischtennis. Zudem verfasst der FM von der Rochade Kuppenheim regelmäßig Beiträge für das Schach-Magazin 64, Schach-Aktiv (Österreich) und Chessbase.de. Darüber hinaus stammen mehrere Turnierbücher aus seiner Feder.